Der Discounter Lidl will angesichts der massiven Engpässe im Containerverkehr in Kürze selbst Schiffe in Dienst stellen. Wie die zur Schwarz Gruppe gehörende Lidl Stiftung gegenüber der DVZ bestätigte, ist zu diesem Zweck ein eigener Carrier unter dem Namen „Tailwind Shipping Lines“ gegründet worden.
Die größte europäische Supermarktkette wolle ihre bestehenden Kapazitäten bei Reedereien und Speditionen durch „teilweise eigene Kapazitäten in der Seefracht“ ergänzen, wie es heißt. „Das Ziel ist, das gestiegene Volumen von unterschiedlichen Produktionsstätten langfristig in Teilen flexibler managen zu können“, wird Wolf Tiedemann, Vorstand der Lidl Stiftung & Co. KG., in einer Erklärung zitiert.
Mitte des Jahres soll es losgehen
Mit Details zu Schiffen, Routen und Abfahrtsfrequenzen hält sich die Zentrale in Neckarsulm noch zurück. Unter Schiffsmaklern machen Gerüchte die Runde, wonach Lidl mehrere größere Containerschiffe für Tailwind Shipping Lines einchartern und zur Jahresmitte in Fahrt bringen wolle. Vermutlich sollen die Frachter auf der Container-Rennstrecke zwischen Asien und Europa eingesetzt werden, weil ein Großteil der Aktionsware für die Lidl-Filialen aus Fernost geliefert wird.
Mit der Gründung eines eigenen Carriers gehe der Discounter einen Schritt weiter als manche Wettbewerber, heißt es aus Branchenkreisen. Einige große Händler wie Ikea und der US-Konzern Costco sowie Einkaufsverbünde wie Xstaff hatten eigenen Angaben zufolge seit vergangenem Jahr ebenfalls Schiffe gechartert.
Schiffsbetrieb durch Partnerunternehmen
Betrieb und Abwicklung der Schiffsdienste inklusive Hafenabfertigung, Treibstoffversorgung und Containerlogistik sollen die Unternehmen aber Partnern überlassen haben. Mitunter habe es sich auch nur um Teilchartern von Schiffen gehandelt, die aber als Komplett-Chartern kommuniziert wurden, berichten Insider.
Über Management und Personalausstattung von Tailwind Shipping Lines liegen noch keine Informationen vor. Angeblich sucht Lidl bereits seit einiger Zeit an deutschen Schifffahrtsstandorten nach erfahrenen Managern für die eigenen Carrier-Aktivitäten.
Darüber hinaus könnte sich der Konzern für das operative Tagesgeschäft mit einer Schifffahrtsagentur zusammentun. In Hamburg und Bremen gibt es neben den eigenen Niederlassungen großer Linienreedereien noch unabhängige Agenturen, die unterschiedliche Reedereien vertreten.
Schätzungen zufolge liegt das jährliche Seefracht-Ladungsaufkommen von Lidl im sechsstelligen TEU-Bereich. Dabei liegt nahe, dass auch das Schwesterunternehmen Kaufland Zugriff auf den eigenen Schiffsdienst bekommt. Zusammen kamen Lidl und Kaufland im Geschäftsjahr 2020/21 auf einen Umsatz von 125,3 Milliarden Euro.
Raten weiterhin auf historisch hohem Niveau
Trotz einer leichten Entspannung der Kapazitäten seit dem chinesischen Neujahrsfest Anfang Februar, liegen die Frachtraten im Containerverkehr nach wie vor auf einem historisch hohen Niveau. Der Shanghai-Index SCFI, der die Spotraten auf 13 Routen ex Shanghai abbildet, liegt derzeit bei rund 4.350 Dollar/TEU. Zu Jahresanfang hatte er einen Höchststand von 5.100 Dollar/TEU erreicht. Im langfristigen Durchschnitt lag er bei unter 1.000 Dollar/TEU.
Zwar sind sowohl die Charterraten für Containerschiffe als auch die Treibstoffpreise ebenfalls kräftig gestiegen. Dennoch dürften Händler wie Lidl ihre Transporte mit einem eigenen Seefracht-Carrier noch günstiger hinbekommen als durch Buchungen bei anderen Linienreedereien – jedenfalls, solange die Frachtraten nicht deutlich nachgeben.
Dieser Artikel wurde von Michael Hollmann verfasst.