Herr Zohm, die derzeitige Preisentwicklung an den Tanksäulen treibt Fuhrunternehmer zur Verzweiflung. Alternativen sind gefragt und da kommt es gerade recht, dass MAN bereits 2024, also ein Jahr früher als angekündigt, mit der Auslieferung serienreifer E-Trucks beginnen will. Wie kommt das?
Auf Grund des hohen Reifegrads der laufenden Entwicklung können wir zu diesem frühen Zeitpunkt Kunden bereits Vorserienfahrzeuge zur Verfügung stellen.
MAN sieht E-Trucks für Kurz- und Langstrecken bestens aufgestellt und bezeichnet Wasserstoffantrieb wegen der hohen Umwandlungsverluste als „Ergänzungstechnologie“, weil hier die Energie zweimal umgewandelt werden muss. Erst wird Wasserstoff aus grün erzeugtem Strom durch Elektrolyse gewonnen und dann elektrischer Strom aus Wasserstoff in einer Brennstoffzelle erzeugt. Das ergibt MAN-Technikern zufolge Wärmeverluste im ersten Schritt von 25 und im zweiten Schritt von 50 Prozent. Sind die Innovationspotentiale für beide Technologien bereits ausgeschöpft?
Auch wenn diese Umwandlungsverluste noch vermindert werden können: bei Wasserstoffanwendungen ist die Wirkungsgradkette schlechter als bei batterieelektrischen Anwendungen. Allerdings hat auch Wasserstoff für bestimmte Anwendungen und in punkto Infrastruktur Vorteile. Wir verfolgen daher seit längerem die Strategie, batterieelektrische Fahrzeuge schnell mit einem großen Portfolio in Serie zu bringen und die Nutzung von Wasserstoff als ergänzende Technik möglich zu machen. Diese Strategie manifestiert sich mit dem zukünftigen Serien-E-Truck und Projekten für Wasserstoff wie die Bayernflotte.
Ein spannendes Projekt an dem sich große MAN-Kunden wie Dettendorfer, Rhenus und Schenker beteiligen sollen. Doch natürlich steht dabei immer auch ein wichtiger weiterer Aspekt im Raum: Kritiker der E-Trucks monieren immer wieder deren geringen Reichweiten. Wie weit werden die künftigen MAN-Fahrzeuge fahren können?
Wir erreichen in unserer Batterieentwicklung gute Fortschritte und werden – natürlich abhängig von der Fahrzeugkonfiguration – bis zu 500 Kilometer Reichweiten schaffen. Mittelfristig sind sogar vierstellige Reichweiten möglich. Allerdings halten wir eine hohe Modularität in unserem Angebot an E-Trucks vor und wollen so unseren Kunden eine optimale Konfiguration des elektrischen Powertrains entsprechend ihrem Nutzungsverhalten ermöglichen.
Welche Rolle spielten Wissenschaftler beispielsweise vom Fraunhofer ISI, die ähnlich argumentieren, bei der MAN-Strategie?
Bei unserer strategischen Aufstellung für künftige Technologien schätzen wir den kontinuierlichen Austausch mit der Wissenschaft. Die endgültigen Produktentscheidungen treffen wir aber vollkommen eigenständig.
Der Wettbewerb – zum Beispiel in Stuttgart – kommt zu anderen Schlüssen und setzt weiterhin auf eine duale Strategie – vergibt MAN vorzeitig Marktchancen?
Wie bereits gesagt haben wir eine smarte Strategie gewählt, die entsprechenden Technologien bereit zu halten. Auf der Basis der derzeit laufenden Projekte sind wir damit sehr gut gerüstet
Beim Wasserstoffantrieb steht die Entscheidung über die Betankung mit flüssigem, gasförmigem oder gebundenem Treibstoff an. Was erhoffen Sie von dem Projekt Bayernflotte – wo genau im Markt werden „Ergänzungslösungen“ mit Wasserstoffantrieb benötigt?
Mit dem Projekt Bayernflotte wollen wir die tägliche Nutzung von Brennstoffzellen im elektrischen Lkw im direkten Kundenbetrieb testen und weiterentwickeln. Dabei sind zum Beispiel die thermische Integration, die Betriebsstrategie und die Bereitstellung einer hohen Dauerhaltbarkeit wichtige Themen. Die Tankvariante ist noch offen, sie wird aber wahrscheinlich maßgeblich von dem Energiesektor bestimmt werden, der als erster große Mengen an Wasserstoff benötigt.
Für Wasserstoff-Lkw halten die ISI-Wissenschaftler bundesweit 140 Tankstellen für ausreichend. Für E-Lkw werden weit mehr Stationen benötigt: wie stark will sich das Joint Venture, das Mutterkonzern Traton mit anderen Wettbewerbern plant, auf dem deutschen Markt engagieren?
Im Rahmen dieses Joint Ventures werden 1.700 Ladepunkte geplant, die insbesondere auf den Langstreckenverkehr zielen. Klar ist aber auch, dass unterschiedliche Kunden unterschiedliche Anforderungen haben. So benötigen Kunden im urbanen Raum unter Umständen keine öffentliche Ladeinfrastruktur, wenn sie Ladelösungen auf ihrem Betriebshof nutzen können. Hierfür bieten wir mit unserem Team von MAN Transport Solutions eine 360-Grad-Beratung, um unsere Kunden beim Umstieg auf elektrische Antriebe bestmöglich zu unterstützen.
Ein bislang unterschätztes Problem ist die Entsorgung von Altbatterien von E-Lkw. Wie will MAN mit dieser Herausforderung umgehen?
Auch auf diesem Gebiet sind wir crossfunktional sehr gut unterwegs. Wir entwickeln Lösungen für die akkurate Einschätzung der Leistungsfähigkeit einer Batterie während der Nutzung. Kann sie sie anschließend für Second Life – also einem Folgeeinsatz im Fahrzeug – oder für Second Life – also einem Folgeeinsatz außerhalb von Fahrzeugen zum Beispiel als stationärer Speicher – verwendet werden? Ansonsten bleibt die Wiederverwendung der eingesetzten Rohstoffe. Wir hoffen, hierzu bald Näheres mitteilen zu können.
Zur Person Frederik Zohm
Seit Juli 2017 ist Frederick Zohm (49) Vorstand für Forschung und Entwicklung bei der MAN Truck & Bus SE. Der gebürtige Meller studierte an der RWTH Aachen Fertigungstechnik sowie Wirtschaftsingenieur und schloss 2003 mit einer Promotion ab. Anschließend hatte er leitende Positionen unter anderem bei EvoBus, Mitsubishi Fuso und Daimler Trucks inne. (ben)
Das Interview führte Stefan Bottler.