Im Interview erklärt Fabian Ziegler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutsche Shell Holding GmbH, wie sein Unternehmen zur Dekarbonisierung des Transportsektors beitragen will.
DVZ: Herr Ziegler, grüne Logistik bedeutet das Ende des Diesels. Was heißt das für das Geschäftsmodell von Shell?
Fabian Ziegler: Die Ära von „one size fits all“ des Diesels im Straßentransport ist vorüber. Unser Angebot für die Logistik beziehungsweise den Straßentransport wird auf längere Sicht stärker diversifiziert sein, denn unterschiedliche Anforderungen verlangen unterschiedliche Technologien, die unterschiedlich schnell marktreif sind. Zum einen wird der Diesel so schnell nicht verschwinden, da die Motoren sehr effizient sind und der Kraftstoff mit mehr Bio-Komponenten auch weniger CO₂-intensiv wird. Zudem hat sich LNG für schwere Lkw etabliert, und Wasserstoff wird ebenfalls in absehbarer Zeit eine ernsthafte Alternative. Für leichtere Fahrzeuge gibt es natürlich auch noch die Batterie.
Angesichts der aktuellen Zahlen scheint das „Net Zero“-Ziel im Transportsektor noch in weiter Ferne zu liegen. Wann halten Sie Netto-Null-Emissionen für realistisch im Straßentransport?
Ich will mich nicht zu Spekulationen hinreißen lassen, denn sehr viele Faktoren müssen zusammenwirken: Fahrzeugtechnologie, Infrastruktur, politische Rahmenbedingungen und nicht zuletzt Kunden. Damit das zügig klappt, plädieren wir für partnerschaftliche Ansätze und schieben sie an, wo immer möglich.
Welche konkreten Emissionsreduktionsziele hat Shell selbst?
Shell hat sich global zum Ziel gesetzt, im Einklang mit der Gesellschaft bis 2050 ein Energieunternehmen mit Netto-Null-Emissionen zu sein. Der Weg dahin wird in den Ländern, in denen wir tätig sind, unterschiedlich aussehen. Als konkreten ersten Schritt haben wir uns Deutschland vorgenommen und einen Plan entworfen, bis 2030 unsere eigenen Emissionen und die der von uns verkauften Produkte um mindestens 30 Prozent zu senken.
Wie soll das gelingen?
Wir legen das vom Kunden ausgehend an. Das heißt, wir schauen, welche Bedürfnisse unsere Kunden in den einzelnen Sektoren haben, wozu sie in der Lage und bereit sind. Darauf schneiden wir unser Angebot zu und bauen die entsprechenden Lieferketten auf. Ein Beispiel: Speditionen werden von ihren Kunden zunehmend aufgefordert, CO₂-armen Service zu erbringen. Lkw mit LNG-Motoren sind ausgereift und erhältlich, und wir bauen eine LNG-Tankinfrastruktur und die Versorgung mit Bio-LNG auf. Mit zusätzlicher staatlicher Unterstützung wie etwa der Mautbefreiung wird für den Spediteur auch ein Schuh daraus. Ganz ähnlich muss man sich das für Wasserstoff oder auch Batterieelektrik vorstellen.
Ein offenes Ohr für Transportunternehmer
Welche Faktoren sind für Sie entscheidend, um die Emissionen auf der Straße zu senken?
Drei Aspekte spielen eine Rolle: Technologien, Wirtschaftlichkeit und Timing. Wettbewerbsfähigkeit ist für Logistik und Transport ganz wesentlich und damit auch für die deutsche Wirtschaft. Das ist das große Dilemma: Einerseits ist es aufregend und inspirierend, eine nachhaltigere Wirtschaft aufzubauen; aber Transformation kostet auch Zeit und Geld und bringt Verunsicherung.
Wie kann die Branche mit diesem Dilemma umgehen?
Bessere Zusammenarbeit ist der Schlüssel. Deswegen wollen wir mit Shell Partner in der Dekarbonisierung sein: Partner der OEMs genauso wie Partner der Transportunternehmer.
Was kann Shell den Transportunternehmern bieten?
Ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse und ein integriertes Angebot, das sich im Einklang damit entwickelt und für alle Beteiligten attraktiv ist. Dabei geht es nicht nur um Kraftstoffe, sondern auch digitale Services und vieles mehr. Denn die Anforderungen im Markt haben sich verändert. Beispielsweise hat sich das Angebot der Tankkarte erweitert – neben fossilen Kraftstoffen können auch alternative Lösungen wie Erdgas, Wasserstoff oder Strom bezogen werden. Zudem sind digitale Lösungen, wie Shell APIs – einer Schnittstellenprogrammierung – immer wichtiger, um die Fahrzeuge und (Tank-)Infrastruktur miteinander zu verbinden. Denn die Energiewende ist komplex und erfordert eine integrierte Lösung auf verschiedenen Ebenen.
Lassen Sie uns konkret über die unterschiedlichen Antriebsmöglichkeiten sprechen. Batterieantrieb, Bio-LNG, E-Fuels. Welche Technologie ist die beste für den Straßengüterverkehr?
Biokraftstoffe leisten den bisher größten Beitrag zur Treibhausgasreduktion im Güterverkehr; wir glauben, dass es mit (co)hydrierten Biokomponenten aus Abfallstoffen noch besser geht. Der Beitrag von nachhaltigen Biokraftstoffen sollte auch durch die Implementierung der RED II in Deutschland weiter gewürdigt werden. LNG ist der zweite bereits verfügbare Kraftstoff. Außer Shell gibt es bereits mehrere andere Anbieter. E-Fuels sehen wir eher für Flugzeuge, weil Elektrifizierung da noch lange nicht in Sicht ist.
Batterieelektrik und Wasserstoff
Wird Batterieelektrik mittelfristig auch beim Lkw eine Rolle spielen?
Bei leichten Fahrzeugen ist das nicht unwahrscheinlich, und wir sehen die Anfänge. Bei schweren Lkw im Langstreckenverkehr gibt es mit Daimler mindestens einen OEM, der neben Wasserstoff darauf setzt. Wir werden sehen.
Wie weit ist der grüne Wasserstoff für den Schwerlastverkehr?
Durch unsere Kooperation mit Daimler wollen wir die Einführung von wasserstoffbasierten Brennstoffzellen-Lkw in Europa gemeinsam vorantreiben. Hierzu errichten wir zunächst bis 2024 ein Wasserstoff-Tankstellennetzwerk für grünen Wasserstoff zwischen drei Produktionsstandorten in Rotterdam in den Niederlanden sowie in Köln und Hamburg. Im Anschluss wird Daimler die ersten schweren Wasserstoff-Lkw an Kunden übergeben.
Aber werden die Wasserstoff-Lkw auch für lange Strecken einsetzbar sein? Die Reichweite gilt bislang als große Schwäche.
Man muss ehrlich sagen, dass Batterien und Brennstoffzellen heute tatsächlich noch einige Nachteile haben. Batterien sind noch zu groß und zu schwer; Brennstoffzellen-Modelle der schweren Lkw-Klasse sind noch nicht marktreif. Wir erwarten die Produktion großer Serien hier erst in den späten 2020er-Jahren.
Was sind Ihre Pläne bis dahin?
Wir wollen mittelfristig führend sein in der Herstellung und dem Vertrieb von grünem Wasserstoff und entwickeln hierzu die nötigen Schritte. Das bedeutet für uns etwa den Einstieg in die Windenergie und auch die enge Entwicklungsarbeit mit Lkw-Herstellern.
Der Transportsektor muss aber bereits jetzt Emissionen reduzieren. Was kann kurzfristig passieren?
Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren! Meiner Meinung nach kann hier verflüssigtes Erdgas, also LNG, einen wesentlichen Beitrag leisten. Fossiles LNG kann bis zu 22 Prozent CO₂ gegenüber Diesel sparen – mit Bio-Methan oder Bio-LNG kann es sogar CO₂-neutral sein!
Wie kann Shell diese Entwicklung unterstützen?
Wir bauen gerade in kurzer Zeit viele LNG-Tankstellen. Bis Ende 2022 sollen es bis zu 40 allein in Deutschland sein. Ab 2023 wollen wir die LNG-Tankstellen dann komplett mit CO₂-neutralem LNG auf Basis von Bio-Methan versorgen.
Und wie sieht der Straßengüterverkehr dann im Jahr 2030 aus?
Vielfältig und sauberer.