„Der Papierkram war ein Schocker“, bringt Senovia Katjiru ihre Erfahrungen mit der Ausländerbehörde in Hamburg auf den Punkt. Die Nachwuchsspediteurin aus Namibia hatte sich für einen einjährigen Jobaufenthalt entschieden, weil Deutschland im südlichen Afrika für Effizienz bekannt ist und im Ruf steht, Aufgaben clever zu meistern. „Ich wollte die Chance nutzen, von den Besten zu lernen“, sagt sie. Doch ihr Elan wurde in den Amtsstuben ausgebremst.
Wie ausbaufähig deutsche Willkommenskultur ist, zeigte kürzlich eine Senatsantwort auf Anfrage der Linksfraktion zum Welcome Center Hamburg, der zentralen Anlaufstelle für die berufliche Integration von zugewanderten Fachkräften: „Zeitweise waren 6.000 Mails an die Dienststelle unbearbeitet“, heißt es auf der Website vom Hamburger Landesverband der Linken. Deren wirtschaftspolitische Fraktionssprecherin, Olga Fritzsche, kritisiert: „So schreckt man qualifizierte und lernwillige Menschen ab.“ Laut NDR ließ sich der Rückstau inzwischen deutlich abbauen.
Senovia Katjiru führte ein Jahr lang das Hamburger Büro der Spedition Transworld Cargo (TWC) mit Zentrale in Windhoek. Filialleiterin Karin Fischer ist überwiegend von Österreich aus tätig. Bevor die 28-jährige Katjiru die Position in Deutschland übernahm, hatte sie in der namibischen Hauptstadt bei TWC das zweijährige berufsbegleitende kaufmännische Ausbildungsprogramm CATS mit einem Bachelor in Logistik und Supply Chain Management an der Namibia University of Science and Technology abgeschlossen. Anschließend arbeitete sie als Kundenbetreuerin und Export-Teamleiterin in Windhoek. Damit erfüllte die junge Afrikanerin die Voraussetzungen für die qualifizierte Zuwanderung.
Fachkräfte aus dem Ausland wollen in Deutschland ankommen. Dafür müssen Unternehmen mehr bieten als einen attraktiven Arbeitsplatz. Fischer stand nicht nur bei bürokratischen Hürden an Katjirus Seite. „Jeden Montag fragte sie beim Skype-Coaching nach zwischenmenschlichen Erfahrungen, gab mir Freizeittipps“, berichtet Katjiru. Die österreichische Kollegin lud sie zum Wochenendausflug an die Ostsee oder zum Weihnachtsfest in die verschneiten Alpen ein, Geschäftspartner nahmen sie zum Kneipenbummel oder Einkaufen mit – einsam habe sie sich nie gefühlt. Ihre zentral gelegene Hamburger Wohnung organisierte der Arbeitgeber.
Einwanderung soll leichter werden
Die Fürsorglichkeit mag mit persönlichen Erfahrungen von TWC-Direktor Norbert Liebich zusammenhängen. Er kam selbst aus Süddeutschland nach Namibia und weiß, dass Zuwanderer nicht nur arbeiten, sondern sich wohlfühlen wollen. Nach 50 Jahren im Ausland könne er zur deutschen Willkommenskultur wenig sagen, begrüße es aber, „dass eine Arbeitsaufnahme in Deutschland vereinfacht werden soll“.
Anfang Juli wurde im Bundesrat das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen: „Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Ausland erworbenen und dort staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, kann künftig als Fachkraft kommen“, heißt auf der Website der Bundesregierung. Ein anerkannter ausländischer Hochschulabschluss und ein konkretes Jobangebot mit Mindestgehalt in Deutschland berechtigen für die Blaue Karte EU. Dieser Aufenthaltstitel soll die dauerhafte Zuwanderung von Akademikern fördern. In Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Irak, Pakistan, Indonesien, Ghana und Nigeria sollen Zentren für Migration und Entwicklung die reguläre Migration zu Arbeits- und Ausbildungszwecken unterstützen.
„Ich wollte die Chance nutzen, von den Besten zu lernen.”
Senovia Katjiru, Nachwuchsspediteurin aus Namibia
Angesichts bürokratischer Hürden scheint ein Studium in Deutschland den Berufsstart zu beschleunigen. Nach Plänen der Bundesregierung „soll es noch attraktiver werden, für eine Berufsausbildung oder ein Studium nach Deutschland zu kommen und hier zu bleiben“.
Sprachliche Barrieren abbauen
Das probiert eine Cousine von Katjiru, die seit 2021 in Bremen lebt: Im September wird Adelheid Katjiru ihr Masterstudium in International Logistics & Supply Chain Management mit einem MBA an der HSB Hochschule Bremen abschließen und weiterhin im Hamburger TWC-Büro arbeiten. Dort ist die 29-Jährige seit einem Praktikum tätig, was der englischen Muttersprachlerin leichtfällt. Aber im Alltag sei die Sprachbarriere anfangs hoch gewesen: „Überall wird nur Deutsch gesprochen, egal ob in der Bank oder im Lebensmittelladen.“ Ihrer Meinung nach sollten Mitarbeitende bei Behörden versuchen, auf Englisch zu kommunizieren. Inzwischen hat sie B1-Niveau, telefoniert mit Truckern oder Reedereien auf Deutsch.
Unterdessen passiert es Wenzel Catima ständig, dass er auf Englisch angeredet wird. Dabei beherrscht der Windhoeker den norddeutschen Zungenschlag. Wenn der Geschäftsführer von Catima Forwarding in Bassum bei Bremen telefoniert, merkt keiner, dass er zugewandert ist. Seine dunkle Hautfarbe fällt erst bei persönlichen Treffen auf, aber Rassismus habe er während fast zwei Jahrzehnten in Deutschland kaum erlebt, sagt der 39-Jährige.
Nach Abschluss der Deutschen Höheren Privatschule Windhoek ging Wenzel Catima als Au-pair nach Norddeutschland, wo er seine heutige Frau kennenlernte. Nach einem Jahr Handelsschule bekam er einen Ausbildungsplatz bei Fiege in Bremen. Dem angehenden Speditionskaufmann gefiel, dass er wegen seiner Herkunft keine Sonderbehandlung bekam – er wollte „wie alle anderen Leistung erbringen und als Logistiker betrachtet werden“. Das gelang ihm auch bei späteren Arbeitgebern wie DSV oder Hellmann, wo er berufsbegleitend an der Deutschen Außenhandels- und Verkehrs-Akademie die IHK-Prüfung zum Fachwirt für Güterverkehr und Logistik absolvierte. Damit sah sich der damals zweifache Familienvater gut gerüstet, um Speditionserfahrung bei TWC in Namibia zu sammeln.
In seiner Heimatstadt bekam er von TWC-Direktor Liebich das Angebot, ein Hamburger Büro aufzubauen. 2021 machte sich Catima schließlich selbstständig. Dafür brachte er mit seiner dualen Ausbildung beste Voraussetzungen mit, aber auch Staatsangehörige aus Drittstaaten ohne deutschen Abschluss oder Berufserfahrung können ein Unternehmen in Deutschland gründen.
Senovia Katjiru arbeitet inzwischen wieder bei TWC in Windhoek. Abgesehen von der beruflichen Weiterbildung stellt Liebich „ein gesteigertes Selbstvertrauen“ bei ihr fest. Kollegen fragen sie häufig, ob sie für den namibischen Winter nicht zu leicht gekleidet sei? „Das deutsche Wetter hat mich stark gemacht“, antwortet sie dann lächelnd und findet wie ihr Chef, dass Deutschland ihren „Horizont beruflich wie privat enorm erweitert“ hat. (ab)
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