Logistikwissen zum Durchstarten

Die Erzeugung von e-Fuels ist aufwendig – doch sie sind klimaneutral.
© dpa
„Verbrenner-Lkw müssen nur klimafreundlich werden.“
Von Sven Bennühr

Herr Prof. Küchen, die EU verfolgt ambitionierte Pläne hinsichtlich des CO₂-Ausstoßes. Das hat zur Folge, dass wir für den Güterverkehr kurz- bis mittelfristig andere Kraftstoffe brauchen. Aber es wird mittlerweile über eine Vielzahl von Alternativen gesprochen und deren Vor- und Nachteile werden gegeneinander abgewogen. Was sind denn ihre Favoriten?

Das Rennen hat gerade erst begonnen, und sehr wahrscheinlich werden die meisten, wenn nicht alle Optionen, die derzeit gehandelt werden, bei der Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs eine Rolle spielen. Es kommt aber natürlich auch darauf an, wie die Rahmenbedingungen für die Alternativen von der Politik gestaltet werden. Nehmen wir als konkretes Beispiel den Diesel: Nicht der Dieselmotor ist das Problem, sondern der fossile Kraftstoff. Dieser kann zum Beispiel durch erneuerbaren Dieselkraftstoff wie HVO 100 ersetzt werden. Auf längere Sicht können E-Fuels die kurzfristig verfügbaren Bio-Kraftstoffe für den Dieselmotor ergänzen. Und natürlich können auch Verbrennungsmotoren mit Bio-LNG oder Bio-CNG betrieben werden. Diese haben den Vorteil, dass die Fahrzeuge nicht so teuer sind wie Elektro- oder Brennstoffzellen-Lkw. Aber auch die haben ihre Berechtigung.

Inwiefern?

Auf der kurzen Distanz zum Beispiel für Lieferverkehre in Ballungsräumen sehen wir ganz klar gute Chancen für den E-Lkw. Die Mitgliedsunternehmen unseres Verbandes bauen entsprechende Infrastrukturen auf. Nur: Es dauert teilweise sehr lange, bis die Netzanschlüsse bereitstehen. Daher habe ich Zweifel, ob wir das mit dem Auf- und Ausbau der Stromversorgung und der Verteilernetze so schnell hinbekommen werden, wie es wünschenswert wäre. Lkw mit Verbrennungsmotor stehen hingegen bereit, sie müssen nur klimafreundlich werden. Und das geht nur mit erneuerbaren Kraftstoffen.

Nach wie vor gilt im Verkehrsministerium der Grundsatz der Technologieoffenheit. Das heißt aber auch, dass die Transportunternehmer jetzt zwischen einer Vielfalt von Antriebsmöglichkeiten genau die herausfinden müssen, die sich am besten für den jeweiligen Einsatzzweck eignet. Und es geht ja nicht nur um die Fahrzeuge allein, sondern auch darum, dass die richtige Infrastruktur vorhanden ist. Wie wird dieses komplexe Thema in Ihrer Branche gesehen?

Auch wir sind der Auffassung, dass die staatlichen Regulierungen den technologischen Wettbewerb um die beste Lösung für die jeweilige Anwendung zulassen muss. Es geht ja nicht nur um den Straßengüterverkehr, auch die anderen Verkehrssektoren sowie der Wärmesektor wie auch die Industrie müssen in kurzer Zeit dekarbonisiert werden. Und in vielen Sektoren werden mehr Strom und mehr erneuerbare Kraft- und Brennstoffe benötigt. Die Politik müsste jetzt also vor allem dafür sorgen, dass schnell ein großes Angebot an solchen Alternativen geschaffen wird. Das betrifft alle klimaneutralen Energieträger vom Strom über den Wasserstoff bis hin zu gasförmigen oder flüssigen Kraftstoffen inklusive der Infrastruktur.

Allerdings fehlen noch die notwendigen Investitionsentscheidungen zum Aufbau der benötigten großen Produktionsanlagen. Das Risiko für solche Investitionen wäre deutlich geringer, wenn die Produkte nicht nur in der Luftfahrt, sondern zum Beispiel auch in Lkw-Motoren eingesetzt werden können. Viele Investoren zögern aber auch, weil sie den ‚First-Mover-Disadvantage‘ fürchten.

Das heißt …?

Bei neuen Technologien wie synthetischen Kraftstoffen oder E-Fuels sind häufig die ersten Anlagen teurer als die Produktionsanlagen, die zu einem späteren Zeitpunkt gebaut werden. Wenn ich als erster eine Produktionsanlage baue und zum Beispiel einen noch relativ hohen Literpreis für grünen Kraftstoff kalkulieren würde, dann lohnt sich das nicht, wenn vielleicht zwei Jahre später jemand in den Markt eintritt, der deutlich günstiger produzieren könnte. Und dann müsste ich meine Investition erheblich früher abschreiben als ursprünglich geplant. Also fange ich gar nicht erst an. Das ist ein ähnliches Thema wie bei den ersten Windrädern oder Photovoltaik-Anlagen. Auch hier hat der Staat geholfen, so dass das Risiko der frühen Investitionen verringert wurde.

Zur Person

Seit dem 1. November 2021 ist Prof. Christian Küchen (61) Hauptgeschäftsführer des en2x – Wirtschaftsverbandes Fuels und Energie in Berlin. Der gebürtige Hamburger studierte Verfahrenstechnik und hat Fachgebiet chemische Reaktionstechnik an der Technischen Universität Clausthal promoviert. Von 1992 bis 1995 war er verantwortlich für die Anwendungstechnik von Brennstoffen und die Brennstoffprüfstände der deutschen Shell in Hamburg. 1995 wechselte er zum Institut für Wärme und Oeltechnik (IWO) und von April 2015 bis Oktober 2021 war er Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) in Berlin.

Für HVO100 und auch bei Bio-LNG gibt es aber schon eine ganze Anzahl von Produktionsanlagen, das heißt, hier geht es nicht um das technische Risiko.

Richtig, hier geht es vor allem um die Verfügbarkeit von nachhaltiger Biomasse, aus der zum Beispiel HVO 100 oder Bio-LNG hergestellt werden könnte. Zahlreiche Studien belegen, dass deutlich mehr fortschrittliche Bio-Kraftstoffe als derzeit hergestellt werden könnten. Doch die Potenziale werden nicht ausreichen, um den kompletten Kraftstoffabsatz abzudecken. Für das dicht besiedelte Europa gilt das natürlich erst recht.

Ließen Sie sich denn trotzdem zu der Aussage hinreißen, dass man zumindest mittelfristig etwa die Hälfte des heutigen Diesel-Bedarfs durch Biodiesel und Biogas decken könnte?

Da muss ich zurückhaltend bleiben. Denn beim Gas gibt es eine Nutzungskonkurrenz mit Industrie und Gebäudebereich. Die eierlegende Wollmilchsau sind Biodiesel und Biogas leider auch nicht. Daher gilt, dass wir alle derzeit diskutierten Optionen brauchen werden. Wir müssen sie parallel entwickeln – und zwar möglichst schnell und in großem Umfang.

Was würden Sie empfehlen?

Da wo es die Transportbedürfnisse und die Infrastruktur ermöglichen, sind E-Lkw eine gute Lösung. Für die anderen Fälle können wir als Ergänzung zu Bio-Kraftstoffen Technologien nutzen, die genau wie die Pflanzen CO₂ aus der Luft abscheiden, und dann mithilfe von Strom und Wasserstoff grüne E-Fuels herstellen. Solange industrielle CO2-Quellen zum Beispiel aus der Zementindustrie zur Verfügung stehen, ist es natürlich sinnvoll, diese konzentrierte CO₂-Quelle zu nutzen, bevor man neben dem Schornstein das verdünnte CO₂ aus der Luft abscheidet. Die Produktion von E-Fuels ist mit Blick auf den Platzbedarf wesentlich effizienter als Bio-Kraftstoffe, denn ein Windrad, das die Anlage mit Strom versorgt, nimmt deutlich weniger Fläche in Anspruch, als wenn man aus den angebauten Pflanzen dieselbe Energie holen wollte. Wir werden beim Klimaschutz im Verkehr und anderen Sektoren um synthetische Energieträger also nicht herumkommen.

Diese sind derzeit aufgrund der mehrstufigen Prozessschritte deutlich teurer als Bio-Kraftstoffe.

Richtig, aber weil es schon große Biokraftstoffanlagen gibt, sind die Kostensenkungspotenziale hier begrenzt. Entscheidend sind vor allem die Kosten der eingesetzten Biomasse. Bei E-Fuels hingegen ist vergleichbar zur Entwicklung von Wind- und Solarstrom von einer Senkung der Produktionskosten auszugehen, denn wenn man die Technik künftig in sehr großen Anlagen einsetzt, können die Produktionskosten sinken. Hinzu kommt: Der benötigte Strom ist in einigen potenziellen Produktionsländern mit 2 bis 3 Cent pro Kilowatt sehr günstig. Ich bin daher nicht so pessimistisch, aber man muss anfangen – und vor allen am Anfang mit Fördermitteln unterstützen. 

Zurück zur Infrastruktur. Wie schätzen sie deren momentanen Status ein und wie schnell kann man die auf das notwendige Niveau bringen?

Um es klar zu sagen: Es wird nicht an allen Tankstellen alle Kraftstoffe beziehungsweise Antriebsenergien geben können. Gerade kleine Tankstellen sind da überfordert, denn sie werden noch viele Jahre Benzin und Diesel anbieten müssen. Aber es gibt auch viele große Tankstellen und Autohöfe, die noch Platz haben. Da muss man entsprechend zubauen. Beispiel Ladesäulen: Die Lkw werden da länger stehen als an der Zapfsäule. Auch wenn alle auf das Schnellladen hoffen, es wird länger dauern, da an vielen möglichen Standorten auch noch der leistungsstarke Netzanschluss geschaffen werden muss.

Und wie sieht es mit der Wasserstoff-Infrastruktur aus?

Im Moment werden Wasserstofftankstellen meist mit Lkw versorgt. Allerdings halte ich es für sinnvoll, dass man die großen Tankstellen über kurz oder lang an das Wasserstoff-Leitungsnetz anschließt. Eine Versorgung per Tankwagen ist auf Dauer deutlich teurer. Es muss also ein Verteilnetz für Wasserstoff geben, welches auch für viele Industriebetriebe benötigt wird. Es sind also nicht nur Tankstellen, die diesen Bedarf anmelden.

Der e-Fuel-Kreislauf

Für die Produktion von e-Fuels muss zuerst in einem Elektrolyseur mithilfe von grünem Strom Wasser in die chemischen Elemente Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) aufgespalten werden. Der so gewonnene Wasserstoff wird anschließend mittels elektrischer Energie mit Kohlendioxid (CO₂) zu einem e-Fuel verbunden. Das Kohlendioxid selbst wurde zuvor aus der Luft abgeschiedenen oder aus der Verrottung von Pflanzen gewonnen. Die Produktion von E-Fuels gilt als nicht effizient, da über 50 Prozent der eingesetzten Energie während des Prozesses verloren geht.

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