Gut ein Jahr müssen die Elektro-Enthusiasten unter den Fuhrunternehmern noch warten – so lange braucht der Lkw-Hersteller Mercedes-Benz, um die Serienfertigung des neuen eActros 600 vorzubereiten. In der Zwischenzeit dürfen sie aber mit etwas Glück eines der 50 fernverkehrstauglichen Vorserien-Modelle, die derzeit gebaut werden, in ihrem Fuhrpark ausprobieren.
Windschlüpfigkeit zählt
Einen ersten Blick auf das Serienmodell gewährte der Hersteller jetzt einem internationalen Publikum auf einem Autohof bei Hamburg. Dabei sorgte der eActros mit seiner auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftigen Optik für Aufsehen. Da, wo bei dem Standard-Diesel-Actros der Kühlergrill sitzt, besteht die Front des Elektro-Models – bis auf einen auffälligen, nach innen versetzten Stern – aus einer glatten Fläche. Das kommt der Aerodynamik des Modells zugute, ebenso wie das völlig neue Design rund um die Lichteinheiten, die dem eActros einen futuristischen Touch verleihen.
Unter dem Strich ist der Elektro-Lkw damit rund 9 Prozent windschlüpfiger als sein Diesel-Pendant. Eine Notwendigkeit, um die versprochene Reichweite von 500 Kilometern pro Batterieladung tatsächlich ohne Abstriche erreichen zu können. Mit der hohen Kapazität seiner Lithium-Eisenphosphat-Batterien von über 600 Kilowattstunden wäre der eActros allerdings – abhängig von der Topografie – auch so durchaus in der Lage, dieses Ziel zu erreichen.
Die Ladesäulen-Kapazität macht es
Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Ladefähigkeit der Batterien. Derzeit benötigt der eActros an einer CCS-Ladesäule (Combined Charging System) mit um die 400 Kilowatt Ladeleistung etwa eine Stunde, bis die Batterien von 20 auf 80 Prozent geladen sind. Steht künftig eine Megawatt-Charging-Infrastruktur zur Verfügung, halbiert sich die Zeit, so dass der Fahrer seinen Lkw in der gesetzlich vorgeschriebenen Pause von 45 Minuten ohne Zeitverzug wieder aufladen kann. Voraussetzung ist dabei, dass eine geeignete Ladesäule zur Verfügung steht.
Mercedes Benz Trucks beziffert die Tagesreichweite des eActros mit deutlich über 1000 Kilometer. Doch das dürfte in erste Linie für Fahrzeuge gelten, die im Mehrschichtsystem laufen sollen. Etwa 60 Prozent der Langstreckenfahrten in Europa sind ohnehin kürzer als 500 Kilometer, sodass Ladeinfrastruktur auf dem Betriebshof sowie an den Be- und Entladestellen für diese Fälle ausreichend ist.
Kräftiger Elektro-Motor
Speziell für den Einsatz im schweren Fernverkehr hat Mercedes-Benz Trucks eine neue, auf 800 Volt ausgelegte E-Achse mit zwei Elektromotoren und Vier-Gang-Getriebe entwickelt. Die E-Motoren generieren eine Dauerleistung von 400 Kilowatt sowie eine Spitzenleistung von 600 Kilowatt. Dabei steht die volle Motorleistung in den meisten Fällen nahezu ohne Drehmomentunterbrechung zur Verfügung.
Darüber hinaus lässt sich bei vorausschauender Fahrweise durch Rekuperation elektrische Energie zurückgewinnen, die in die Batterien zurückgeführt wird und im Anschluss wieder für den Antrieb zur Verfügung steht. Ein positiver Nebeneffekt des Konzepts ist, dass die Bremsen des eActros 600 weniger beansprucht werden. Situationsabhängig kann der Fahrer zwischen fünf verschiedenen Rekuperationsstufen wählen – oder er wählt über den Touchscreen des digitalen Cockpits die Option One-Pedal-Driving – also die Verzögerung per Rekuperation mit reduzierter Betätigung der mechanischen Bremse.
Flottenmanagement-Lösung inklusive
Über das serienmäßige Multimedia Cockpit Interactive 2 wird der künftige Fahrer eines eActros kontinuierlich über den Ladezustand der Batterien, die verbleibende Reichweite sowie den aktuellen und durchschnittlichen Energieverbrauch informiert. Flottenmanager können über das Fleetboard-Portal digitale Lösungen zur effizienten Steuerung ihrer Flotte nutzen.
Dazu werden zum Serienstart unter anderem ein individuell ausgearbeitetes Charge Management System wie etwa die smarte Steuerung aller Prozesse zwischen dem eActros 600 und der Ladeinfrastruktur sowie ein Logbuch mit detaillierten Angaben zu Fahr-, Stand- und Ladezeiten sowie Verbrauchsdaten zählen. Ebenso wird es ein Mapping-Tool geben, das in Echtzeit anzeigt, wo sich ein Fahrzeug gerade befindet, ob es fährt, steht oder lädt und wie hoch der Ladezustand der Batterie ist.
Die Gewichtsfrage
Mit eine der wichtigsten Frage für einen Fuhrunternehmer ist die nach der Nutzlast eines Elektro-Sattelzugs. Derzeit bringen der eActros und der Sattelauflieger gemeinsam ein Leergewicht von 17 bis 18 Tonnen auf die Waage. Rechnerisch ergibt sich also für den 40-Tonner eine Nutzlast von 22 Tonnen. Ändern sich aber die Vorgaben für die Gewichte, wie es derzeit in Brüssel diskutiert wird, könnte das Zuggesamtgewicht um zwei oder sogar vier Tonnen zulegen. Dafür sind natürlich von der Tragkraft her geeignete Achsen erforderlich, aber im besten Fall steigt die Nutzlast entsprechend.
Die TCO-Frage
Für den eActros ruft der Hersteller einen zwei- bis zweieinhalb Mal höheren Anschaffungspreis auf – und der muss erst einmal erwirtschaftet werden. Wie schnell das gelingt, unterscheidet sich von Land zu Land und vor allem die Strom- und Dieselpreise sowie die Mautgebühren sind dabei ausschlaggebend.
Nach Berechnungen von Mercedes-Benz Trucks wirken sich zum Beispiel in den großen Transit-Ländern Frankreich und Deutschland ein niedriger Strompreis, respektive die geplante CO2-basierte Lkw-Maut positiv auf die Betriebskosten batterieelektrischer Lkw aus. Unter diesen Voraussetzungen soll der eActros 600 innerhalb der durchschnittlichen Fahrzeug-Haltedauer von etwa fünf Jahren beziehungsweise nach etwa 600.000 Kilometern profitabler als ein Diesel-Fernverkehrs-Lkw sein.
Die CO₂-Emissionen
Der CO₂-Fußabdruck des eActros 600 hängt stark vom Strommix ab, mit dem die Batterien geladen werden. Mit dem aktuellen europäischen Strommix erzielt der Elektro-Lkw eine CO₂-Einsparung gegenüber einem vergleichbaren Diesel-Fahrzeug von rund 40 Prozent. Wird vollständig auf erneuerbare Energien zurückgegriffen, sind es mehr als 80 Prozent über den gesamten Produktlebenszyklus von zehn Jahren.