Flüssige Sumpfphase, Cracken und Kettenlängen – das sind Begriffe, denen Logistiker sicherlich nicht alltäglich begegnen. Es sind Begriffe aus der Chemie, die einen Stoff beschreiben, den die Transportbranche sehr mögen wird. Aus Altölen können mit einem speziellen Verfahren alternative und vor allem umweltfreundliche Kraftstoffe hergestellt werden.
Schauplatz ist die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Hier arbeitet Thomas Willner, Professor für Verfahrenstechnik, Ideengeber und Gründer von Nexxoil, einer Ausgründung der Hochschule. Mit seinem Unternehmen hat er das sogenannte READi-Verfahren entwickelt.
Eine zündende Idee
Seit fast 15 Jahren forscht Willner gemeinsam mit Anika Sievers, Professorin für thermische Verfahrenstechnik an der HAW, sowie einem Team von zehn weiteren Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern, die überwiegend Nexxoil-Mitarbeiter sind. Partner ist die Krebs Brüggen Sekundärrohstoffe (KBS) in Schleswig-Holstein. Mit rund 1 Million Euro hat das Bundesforschungsministerium bisher drei Projektschritte gefördert: die Installation der Pilotanlage, eine Optimierung und zuletzt die Umstellung auf die Verarbeitung von Kunststoffen.
Willner und Sievers erklären anhand der Versuchsanlage, wie das Verfahren zur Herstellung von Kraftstoffen funktioniert. Ausgangsstoff ist Altöl, zum Beispiel Frittenfett. „Es eignet sich besonders, weil es eine hohe Energiedichte hat“, sagen die Wissenschaftler. Erst wird es vorgewärmt, dann in den sogenannten Reaktor geleitet und dort auf 350 bis 400 Grad Celsius erhitzt. Das nennen Willner und Sievers „Cracken“, denn die Moleküle im Altfett werden auf diese Weise aufgespalten und gehen von einem flüssigen in einen gasförmigen Zustand über.
Das Gas strömt anschließend in einen Behälter über dem Reaktor und wird abgekühlt. Nach dem Kondensationsprozess entstehen Kohlenstoffketten, die entweder eine dieselartige oder benzinartige Flüssigkeit ergeben. Das ist der Ausgangsstoff für den späteren Kraftstoff. Am Ende des Prozesses werden die Flüssigkeiten mit Wasserstoff nachbehandelt, damit normgerechte und tankbare Kraftstoffe wie Diesel und Benzin entstehen. Sievers und Willner nennen das Produkt des READi-Prozesses CVO, also Cracked Vegetable Oil, analog zum Hydrotreated Vegetable Oil (HVO) oder auf Deutsch: hydriertes Pflanzenöl.
Ressourcensparendes Verfahren
Das Besondere an dem HAW-Projekt ist, dass anders als bei HVO kein Katalysator und kein Wasserstoff am Anfang des Verfahrens verwendet werden. Denn das wäre laut Willner teurer und anfälliger. Der Katalysator geht schnell kaputt, wenn die Ausgangsstoffe verunreinigt sind. „Bei uns ist die Effizienz höher“, erklärt der Verfahrenstechniker. Und nicht nur das. Restliche Gase oder auch feste Kohlenstoffe, die beim Cracken entstehen, können zur Energiegewinnung verwendet werden.
„Wir arbeiten gerade an einem R40-Kraftstoff“, erzählen die Forscher. Das Gemisch bestehe dann aus 60 Prozent Diesel, 26 Prozent HVO, 7 Prozent Biodiesel und nochmals 7 Prozent CVO. Preislich orientieren sich die beiden Wissenschaftler an HVO. Dieser Kraftstoff kostet derzeit auf dem Markt etwa 18 Cent mehr als herkömmlicher Diesel.
Demo-Anlage in Planung
Doch bis es so weit ist, vergeht noch einige Zeit. Außer der Versuchsapparatur mit 4 Liter Reaktorvolumen und einem Jahresdurchsatz von etwa 2 Tonnen haben sie noch eine Pilotanlage mit 200 Liter und einem Jahresdurchsatz von 100 Tonnen. In Planung ist eine erste kommerzielle Demo-Anlage mit rund 5.000 Tonnen Jahresdurchsatz. Damit ließen sich etwa 3,7 Millionen Liter Diesel herstellen.
„Das Verfahren ist ausgereift“, sagt Willner und fügt hinzu: „Wir wollen unsere Anlagen zum Rohstoff bringen.“ Projektpartner KBS will sie sich auf den Betriebshof stellen und Abfälle direkt vor Ort verwerten. Produktionsstart ist voraussichtlich Ende 2025. Dann gehe es darum, mehr Anlagen zu verkaufen. Der Jahresdurchsatz soll jeweils zwischen 5.000 und 15.000 Tonnen betragen. Zum Vergleich: HVO-Anlagen haben einen Durchsatz von etwa 1 Million Tonnen im Jahr.
„Wir stecken mitten in der Genehmigungsphase und müssen eine Flut von Formularen ausfüllen“, erzählt Sievers. Es gehe um Angaben zu Emissionswerten oder um ein Sicherheitskonzept. Das Potenzial sei groß. In Deutschland, schätzt Willner, fielen jährlich 2 Millionen Tonnen Altfette an. Zudem forschen die Wissenschaftler mit anderen Rohstoffen wie Plastik. Auch das lässt sich verflüssigen und dann zu CVO verarbeiten. Interessant sei das Verfahren für die Seeschifffahrt. Sie könnte aus Plastik, das in den Meeren treibt, Treibstoff herstellen.
Scharfe Kritik an Klimapolitik
Willner ist nicht nur Wissenschaftler und Gründer, sondern auch ein aufmerksamer Beobachter der deutschen Klimapolitik. Den größten Teil hält er für Quatsch. Er ist überzeugt, dass Elektromobilität dem Klima nicht hilft. „Wir müssen an dem Bestand der Verbrenner arbeiten, denn Afrika werden wir nicht elektrifizieren“, sagt Willner.
E-Fahrzeuge hält er nicht für sauber, da sie den Verbrauch an Kohlestrom erhöhten. Bei den europäischen Flottengrenzwerten dürften deshalb nicht nur E-Pkw oder E-Lkw, sondern es müssten auch alternative Kraftstoffe angerechnet werden. Dem Klimaschutz sei vor allem gedient, wenn die großen öl-, gas- und kohlefördernden Länder die Rohstoffe im Boden ließen und stattdessen Alternativen gefunden würden.
„Wir müssen 4,4 Milliarden Tonnen Erdöl-Jahresproduktion mit alternativen Kraftstoffen ersetzen. Dann reden wir über Klimaschutz“, ist er überzeugt und hat schon eine weitere Lösung parat. Die Jatropha-Pflanze beispielsweise, ein genügsames Gewächs, das in Halbwüstengebieten gedeiht, produziert ein nicht essbares Öl. Man könne sie an Wüstenrändern anbauen und so 260 Millionen Tonnen Öl im Jahr gewinnen. Und er sagt: „Damit könnte man ganz Europa mit Kraftstoffen versorgen.“
Dieser Text wurde von Susanne Landwehr verfasst.