Philipp Wrycza sitzt bei einem Bankett an einem Tisch mit einigen mittelständischen Spediteuren. Es ist ein geselliger Abend, das Essen schmeckt, der Wein auch, alle haben gute Laune. Dann fragt Wrycza seine Tischnachbarn, was sie von der Europalette halten. Die Stimmung kippt schlagartig. „Der Abend ist komplett gecrasht“, erinnert sich Wrycza. Zwei Stunden lang muss er sich anhören, was alles an Paletten blöd und nervig ist. Es ist weniger das Holzstück an sich, sondern es sind vielmehr die damit in Zusammenhang stehenden administrativen Prozesse.
Sechs Jahre ist der Abend her, der sich fest in Wryczas Gedächtnis gebrannt hat. Es war ein Schlüsselerlebnis, das letztlich zu einer Start-up-Gründung geführt hat: der Logistikbude.
Paletten sind einerseits unverzichtbar für den Transport von Waren, andererseits verursachen sie eine Menge Aufwand und damit Ärger. „Das muss doch nicht sein“, sagt der Mitgründer und Geschäftsführer, der Logistik studiert und am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet hat. Das Vorstellungsgespräch dafür hatte er seinerzeit bei Prof. Michael ten Hompel, und es war ein weiteres Schlüsselerlebnis. Der Institutsleiter fragte ihn zuerst, warum er am IML arbeiten wolle, und als Nächstes, ob er sich vorstellen könne, mal ein Unternehmen zu gründen. Wrycza konnte, und er tat es.
Forschungsarbeit als Basis
Prof. ten Hompel ist indirekt der Name des Start-ups zu verdanken. Der sagte einst zum Gründerteam: „Ihr müsst größer denken, ihr seid schließlich kein Kiosk.“ Da im Ruhrgebiet die Bude ein geläufiges Synonym für Kiosk ist, stand der Arbeitstitel für das Start-up schnell fest. Und er gefiel immer besser, also blieb er. Basis für die Firmengründung waren die Arbeiten im gemeinsamen Enterprise Lab vom IML und der European Pallet Association (EPAL) zu interaktiven Paletten.
Schmerzpunkte beseitigen
Die Geschäftsidee der Logistikbude setzt genau dort an, wo viele Unternehmen Schmerzen haben – beim Management von Mehrwegsystemen, das aufwendig ist und viele Tücken beinhaltet. „Wir möchten, dass sich Unternehmen nicht mehr darum kümmern müssen, ganz gleich, ob es sich um Paletten, Gitterboxen, Tankcontainer oder Pappbecher handelt“, erklärt Wrycza. Ladungsträger stehen oft herum, der Tausch muss dokumentiert werden, Beschädigungen und Reparaturen ebenso, sie müssen rechtzeitig in der richtigen Menge zur Verfügung stehen, und manchmal gehen sie verloren. All das soll Unternehmen keinen Aufwand und schon gar keinen Ärger mehr verursachen, wenn sie die Lösung der Logistikbude verwenden.
„Der Anspruch war, eine Software zu bauen, die sofort nutzbar ist und eben nicht individuell ein mehrjähriges Projekt braucht. Und die vor allem spezialisiert ist auf Mehrweglogistik“, sagt Wrycza. Die Software ist webbasiert und unabhängig vom Ladungsträgertyp. Der Nutzer kann sie wahlweise über einen Browser, eine App oder in den eigenen Systemen über eine Schnittstellenintegration bedienen.
Die Kunden suchen sich aus, was am besten zu ihrem Prozess passt, und zahlen eine monatliche Nutzungsgebühr. Zu den Anwendern gehören unter anderem Siemens und DB Schenker, aber auch ein Kinobetreiber, der über das System Mehrweg-Trinkbecher verwaltet. Gegründet wurde die Logistikbude im Oktober 2021. Im ersten Jahr erwirtschaftete das Start-up einen sechsstelligen Umsatz.
Offener Meinungsaustausch
Außer Philipp Wrycza gibt es drei weitere Gründer, die ebenfalls alle aus dem IML stammen. Einer von ihnen ist Michael Koscharnyj. Er hat Betriebswirtschaft und Ingenieurwesen studiert und kümmert sich um alle Steuerangelegenheiten sowie das Controlling. Zudem liegt die Kundenbetreuung in seinen Händen, bei der es oft um Details geht. Das liegt ihm. Somit ergänzt er sich gut mit Wrycza, der eher hibbelig reagiert, wenn es zu granular wird, und sich stattdessen lieber um die Weiterentwicklung des Start-ups in den kommenden Jahren kümmert.
Zwei weitere Gründer sind Informatiker, Patrik Elfert und Jan Möller, die sich schon aus dem Sandkasten kennen. Sie haben jede Zeile Code der Logistikbuden-Software selbst geschrieben und dokumentiert.
Das Verhältnis der Gründer untereinander beschreibt Koscharnyj als freundschaftlich-konstruktiv. Man sagt sich offen die Meinung hinter verschlossener Tür, tritt nach außen aber einheitlich auf. „In einem Konzern würden wir vermutlich nicht in einem Team zusammenarbeiten, sondern in unterschiedlichen Abteilungen sitzen“, sagt Koscharnyj. „In unserem Start-up funktioniert die Teamarbeit perfekt, wir decken alle Funktionsbereiche ab, und jeder setzt in seiner Rolle genau das um, was erwartet wird.“
Jeder ist transparent
Weiterer wichtiger Erfolgsfaktor ist das Setzen von Zielen und die Auswertung von Ergebniskennzahlen jedes Mitarbeiters. Um dabei das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, ist die Logistikbude offen und transparent. Auch Praktikanten können sofort einsehen, welche Ziele jeder Einzelne hat. „Dieser offene Umgang untereinander ist in einem Wertesystem schriftlich festgelegt, auf das sich jedes neue Teammitglied verpflichtet“, betont Koscharnyj.
In diesem Jahr wollen die Gründer die Logistikbude aktiver als bisher nach außen präsentieren. Auf Branchenveranstaltungen wollen sie erläutern, worum es ihnen im Kern geht: den Unternehmen das Management von Mehrwegobjekten vollumfänglich abzunehmen. Durch Prozessautomatisierung soll niemand mehr Daten und Formulare händisch bearbeiten müssen, die dann schlimmstenfalls per E-Mail oder Fax versendet werden.
Das Start-up triff damit einen Nerv der Unternehmen: Wrycza verzeichnet gerade eine steigende Nachfrage nach Active-Tracking und IoT-Technologie. Die Logistikbude will sich als Komplettlösungsanbieter etablieren. Dazu soll in diesem Jahr das Team auf 12 bis 14 Köpfe erweitert werden. Sollte Wrycza noch einmal an einem Bankett teilnehmen, bei dem Logistiker schlecht über Ladungsträger reden, könnte er die Stimmung retten. Denn er hat nun eine Lösung, um Aufwand und Ärger durch Mehrwegsysteme abzustellen und sie auf ihre eigentliche Bestimmung zu reduzieren: als Mittel zum Zweck, von dem keiner etwas mitbekommt.
Dieser Beitrag wurde von Robert Kümmerlen verfasst.