Wenn der Vorschlag der EU-Kommission für ein europäisches Lieferkettengesetz vom Europäischen Parlament und den Mitgliedsstaaten angenommen wird, kommen auch auf große Transport- und Logistikunternehmen neue Pflichten zu. „Auch Containerreedereien wie Maersk, die bestimmte Umsatzschwellen übertreffen, müssen sich dann damit auseinandersetzen, ob durch ihre Tätigkeiten Gefahren für Menschen- und Arbeitsrechte oder die Umwelt bei ihren Zulieferern entstehen“, sagte Tiemo Wölken (SPD), umweltpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im EP, auf eine Frage der DVZ.
Die Vorschläge der Kommission gehen in vielen Punkten weiter als das bereits beschlossene deutsche Lieferkettengesetz, das ab Januar 2023 gilt. Für Wölken sind die wichtigsten Unterschiede, dass sich Unternehmen nach den geplanten EU-Regeln nicht nur auf Beschwerden hin, sondern in jedem Fall mit den Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern beschäftigen müssen, dass mehr Unternehmen erfasst werden, dass ihre Sorgfaltspflicht für mehr Aspekte gilt und dass sie auch zivilrechtlich haften, wenn sie der Sorgfaltspflicht nicht nachkommen. „Die Haftung ist des Pudels Kern“, sagte Wölken. „Mit der zivilrechtlichen Haftung bekommt die Richtlinie richtig Biss.“ Er sieht allerdings zu viele Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Verantwortung durch Verträge mit Zulieferern auf diese abzuwälzen. Diese Schlupflöcher müssten durch EP oder Ministerrat geschlossen werden.
Unter das neue Gesetz sollen EU-Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern und einem Nettojahresumsatz von über 150 Millionen Euro fallen. Unternehmen unter dieser Umsatzschwelle und weniger als 250 Mitarbeitern sollen ausgenommen bleiben. Zwischen 250 und 500 Mitarbeitern sollen die Sorgfaltspflichten zwei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht dann gelten, wenn von einem Mindestumsatz von 40 Millionen Euro wenigstens die Hälfte in „Risikosektoren“ erwirtschaftet wird. Dazu gehören die Textilbranche, Nahrungsmittel- und Forstwirtschaft, Bergbau, Metallverarbeitung und die Gasindustrie, jeweils inklusive der zugehörigen Handelstätigkeit. In der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten müssen die Regeln ebenfalls einhalten, wenn sie die jeweiligen Umsatzschwellenwerte überschreiten.
Schadensrisiko soll berücksichtigt werden
„Die alleinige Größe eines Unternehmens ist zweitrangig“, kommentierte der Vorsitzende des EP-Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD). „Der Import von Ahornsirup aus Kanada hat ein anderes Risiko als das Hemd aus Bangladesch. Ein kleines Bergbauunternehmen hat vielleicht größere Risiken zu bewältigen als eine große Firma.“ Ein risikobasierter Ansatz sei deshalb der richtige Weg. Der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss wies darauf hin, dass nicht jedes Unternehmen jeden einzelnen seiner „möglicherweise Tausenden“ Lieferanten kontrollieren könne. „Zwar sind KMU vom Gesetz ausgenommen, allerdings sollte auch großen Unternehmen die Möglichkeit gelassen werden, nur dort zu kontrollieren, wo klare Risiken vorliegen“, sagte Voss. Ansonsten drohe eine Überlastung von Unternehmen mit „völlig sinnloser Bürokratie“.
Die Kommission will die Unternehmen verpflichten, die Tätigkeiten im eigenen Unternehmen, in Tochterfirmen und in Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette, zu denen „etablierte Geschäftsbeziehungen“ bestehen, zu analysieren. Geprüft werden soll auf Verstöße etwa gegen die allgemeine Menschenrechtskonvention, das Recht auf faire Bezahlung, Normen der internationalen Arbeitsorganisation ILO oder gegen Umweltvorschriften etwa zum Schutz der Biodiversität oder zum Umgang mit Chemikalien und Abfällen.
Unternehmen müssen Strategien entwickeln
Die Unternehmen müssen Missstände identifizieren, verhindern, minimieren oder beenden. Das kann etwa durch Unternehmensregeln, Strategien, Aktionspläne und Verträge mit Zulieferern geschehen. Wenn Schäden eingetreten sind, auch durch Zahlung von Schadensersatz. Unternehmensvorstände sollen noch Extra-Pflichten bekommen. Auch sie sollen Strategien zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards ausarbeiten und auch dafür, wie die UN-Klimaschutzziele erreicht werden können. Vom Erreichen der Klimaschutzziele will die Kommission auch die Höhe von Boni und Zuschlägen abhängig machen, die leitende Manager bekommen.
Klagen und Verwaltungsstrafen sind möglich
Über Missstände beschweren könnten sich dem Vorschlag zufolge neben Betroffenen auch Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen. Sie könnten sich an das Unternehmen, an Gerichte oder auch an Aufsichtsbehörden in den EU-Staaten wenden. Diese sollen Strafen verhängen dürfen, die sich am Umsatz der Unternehmen orientieren. Bei den Sanktionen will die Kommission den Mitgliedsstaaten allerdings großen Spielraum lassen. „Es ist gut, dass die EU-Kommission der Forderung des EU-Parlaments nachkommt und die Möglichkeit einführt, Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen“, sagte die Vorsitzende des EP-Binnenmarktausschusses, Anna Cavazzini (Grüne). „Für die Tausenden von Opfern auf der ganzen Welt, die bisher mit dem Zugang zur Justiz zu kämpfen hatten, bedeutet dies eine absolute Wende.“
Dem BGA gehen die Vorschläge zu weit
Nach Ansicht des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) geht der Kommissionsvorschlag zu weit. „Insbesondere die geplante zivilrechtliche Haftung lehnen wir ausdrücklich ab“, erklärte BGA-Präsident Dirk Jandura. „Es ist mir völlig schleierhaft, wie Unternehmen diese Masse an Vorgaben aus Brüssel umsetzen sollen.“ Die Ausnahmen für KMU nützten in der Praxis nichts. „Die Realität sieht schon heute so aus, dass die Großen ihre Verantwortung entlang der Lieferkette an die Kleinen weitergeben. Daher brauchen wir einen verbindlichen Rechtsrahmen für kleine Unternehmen“, sagte Jandura.
Warnung vor Riss einiger Lieferketten
Das sehen auch christdemokratische Europaabgeordnete so. Das Abwälzen von Verantwortung auf kleine und mittlere Unternehmen zusammen mit der zivilrechtlichen Haftung werde dazu führen, dass einige globale Lieferketten gekappt würden, erwartet Markus Pieper (CDU). „Zusätzlich zu den ab 2024 vom deutschen Lieferkettengesetz betroffenen 2.900 Betrieben, müssen nunmehr potenziell bis zu 14.000 Betriebe in Deutschland ihre Betroffenheit prüfen und für ihre gesamte Wertschöpfungskette Rechenschaft ablegen“, sagte er.
Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber findet die Vorschläge ebenfalls überzogen. „Länder wie China, die bei Menschenrechts- und Umweltfragen nicht so hohe Standards ansetzen, werden in Entwicklungs- und Schwellenländern gerne in die Bresche springen. Zum Nachteil des deutschen Mittelstands“, sagte Ferber.
Zwangsarbeit: Importverbote in der Diskussion Zu den Missständen, die Unternehmen bei ihren Zulieferern abstellen sollen, gehört auch Zwangsarbeit. Ein Importverbot für Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, will die EU-Kommission durch ein separates Gesetz erlassen, an dem sie noch arbeitet. „Wir wollen in den Regalen unserer Geschäfte in Europa keine Produkte, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden“, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bis der Vorschlag kommt, will sich die Kommission in internationalen Organisationen dafür einsetzen, Zwangsarbeit zu verhindern.