Logistikwissen zum Durchstarten

Mitarbeitende in der Paketlogistik müssen sich auch mit Exoskelett frei bewegen können. Die Wahl des richtigen Modells sollte daher besonders gut durchdacht sein und von Experten auch im Rahmen der Einarbeitung begleitet werden.
© Hermes Germany / Willing-Holtz
Exoskelette: Pakete heben leicht(er) gemacht
Von Amelie Bauer

Science-Fiction-Flair im hessischen Friedewald: Was auf den ersten Blick aussieht wie ein „Roboteranzug“ vom Filmset, soll die körperliche Belastung von Beschäftigten in der Lagerlogistik reduzieren und sie vor Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) wie Rückenbeschwerden schützen. Für die Mitarbeitenden im Hermes-Logistikcenter bei Bad Hersfeld sind Exoskelette eine ganz neue Erfahrung. Seit Anfang Juli sind dort zwei Geräte des Modells Ix Back Air des Herstellers Suitx by Ottobock im Regeleinsatz. Auch an den Standorten in Graben (Bayern) und Langenhagen (Niedersachsen) sind je zwei Geräte in Betrieb.

„Ein Exoskelett ist eine am Körper getragene Stützstruktur, die Muskeln, Gelenke und Knochen bei spezifischen Tätigkeiten entlastet“, erklärt David Duwe, Vice President beim Exoskelett-Hersteller Ottobock Europe. Je nach System werden unterschiedliche Körperpartien unterstützt – zum Beispiel der Rücken, die Schultern, Arme oder Beine. So soll eine Überbelastung des Körpers verhindert werden.

In der Paketlogistik wirkt der Einsatz von Exoskeletten auf den ersten Blick verzichtbar. Immerhin liegt das durchschnittliche Sendungsgewicht etwa bei Hermes Germany bei rund 2 Kilogramm, oft handelt es sich beispielsweise um Textilsendungen. Die Arbeit mit Großstücken und sperrigen Gegenständen ist körperlich dafür umso anspruchsvoller, auch wenn der Anteil von Sendungen über 20 Kilogramm weniger als 2 Prozent ausmacht. „Gerade für diese Artikel lohnt sich der Einsatz von Exoskeletten“, weiß Olaf Schabirosky, CEO von Hermes Germany.

Nicht nur zum Heben von Lasten

Das verwendete Rücken-Exoskelett wurde speziell für Personen entwickelt, die bei ihrer Arbeit nicht nur schwere Lasten heben und bewegen, sondern auch Flurförderzeuge bedienen oder Treppen steigen müssen. Die Belastung des unteren Rückens soll beim Anheben schwerer Gegenstände um bis zu 15 Kilogramm reduziert werden. Grundsätzlich ist der Einsatz von Exoskeletten aber nicht nur bei schweren Sendungen sinnvoll, sondern hängt von individuellen körperlichen Voraussetzungen ab.

„Jemand, der vielleicht nur 5 Kilogramm heben kann, wird mit dem Exoskelett aber nicht plötzlich in die Lage versetzt, 10 Kilogramm heben zu können“, warnt Dennis Isern, Manager des Logistikcenters in Friedewald. Auch für mich waren bei einem Selbsttest vor Ort viele der Sendungen trotz Exoskelett deutlich zu schwer. Eine positive Auswirkung auf die Körperhaltung und eine angenehme Federwirkung beim Anheben der Pakete waren dennoch deutlich spürbar.

Grundsätzlich sind Exoskelette sowohl für Männer- als auch Frauenkörper geeignet. „Auch die Brustplatte kann je nach Bedarf eingestellt werden“, bestätigt Duwe. Trotz verstellbarer Gurte sollte die Körpergröße der Mitarbeitenden allerdings zwischen 1,60 und 1,90 Meter liegen. Bei zierlichen Körperformen und Menschen, die kleiner oder größer sind, stoßen die Anpassungsmechanismen des Gerätes an ihre Grenzen.

Die Entlastung der Mitarbeiter bezieht sich aber nicht nur auf das zu hebende Gewicht: „Sie entsteht zum Beispiel auch an den Arbeitsstationen, wo man viel stehen oder vorgebeugt arbeiten muss“, erklärt Isern. Der 43-Jährige hat das Thema Exoskelett im Unternehmen maßgeblich vorangetrieben.

(Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

(Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

Mit 3 Kilogramm ist das verwendete Modell vergleichsweise leicht und funktioniert nach einem biomechanischen Prinzip, indem es Kräfte im Körper umleitet, zwischenspeichert und bei Bedarf gezielt wieder freigibt. Durch die Nutzung der körpereigenen Energie kann das Exoskelett ohne den Einsatz von Batterien getragen werden und lässt sich – nach ein bisschen Übung – in weniger als einer halben Minute an- oder ablegen.

In Friedewald werden die Exoskelette in den drei Hauptschichten derzeit von je zwei festen Mitarbeitern getestet. Die Textil-Patches, die am Gerät befestigt sind, können gewaschen und desinfiziert werden, so dass lediglich das Skelett selbst bei Schichtwechsel übergeben wird. Um es anzulegen, wird ein Textilgurt auf Hüfthöhe befestigt, in den das Exoskelett eingeklinkt werden kann. Die Kosten pro Gerät liegen nach Angaben von Hermes – bezogen auf das genannte Modell – bei rund 5.000 Euro.

„Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Exoskelett-Typen: Es gibt motorbetriebene und mechanische Exoskelette“, erklärt Duwe. Die motorbetriebenen Systeme verfügen über elektrische oder pneumatische Antriebe. Sie benötigen eine externe Energieversorgung (wie eine Batterie) und sind meist schwerer und deutlich teurer als Exoskelette, die körpereigene Energie nutzen.
 

Gesundheitserhaltung im Fokus

In körperlich herausfordernden Branchen wie der Lagerlogistik können Exoskelette ein wichtiger Baustein für die Gesundheitserhaltung von Mitarbeitenden sein – insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels. „Wenn man als Arbeitgeber zeigt, dass einem Mitarbeitergesundheit und Innovation wichtig sind, dann kann man auf eine ganz andere Art und Weise Mitarbeiter gewinnen“, ist Isern überzeugt. Der Einsatz von Exoskeletten allein reiche dafür aber nicht aus: „Wir brauchen einen Mix aus Automatisierung, Entlastung der Mitarbeiter und präventiver Vorsorge. Ich glaube, das ist der Mix, der am Ende erfolgreich ist.“

Wichtig sei neben der Wahl des richtigen Modells vor allem die Akzeptanz der Mitarbeitenden, weiß auch der 36-jährige Mario Phieler, Teamleiter am Standort Friedewald. Er selbst habe sich zunächst an die ungewohnte, andere Art der Bewegung gewöhnen müssen, nach längerem Tragen aber weniger Erschöpfung und eine Verbesserung der eigenen Körperhaltung festgestellt.

„Ich gehe davon aus, dass sich die Exoskelette in den nächsten Jahren auch technologisch noch stark weiterentwickeln werden, so dass man dann für ganz unterschiedliche Anwendungsfälle Geräte auf dem Markt hat“, ist CEO Schabirosky überzeugt. Der zunehmende Grad von Automatisierung und Robotik in Verbindung mit KI werde das Jobprofil langfristig verändern: „Perspektivisch wird man gegebenenfalls nicht mehr Tausende von Sendungen selber anfassen und transportieren müssen, sondern ist für die Steuerung von Robotern verantwortlich. Das ist etwas, wozu wir zurzeit auch schon forschen.“ Auf dem Weg dahin sind die Mitarbeiter dank Exoskelett selbst ein wenig Roboter – oder fühlen sich zumindest so.

Vorteile laut Hersteller

  • Verminderte Ermüdung um –56 Prozent
  • Entlastung des unteren Rückens um 15 Kilogramm
  • Verbesserte Körperhaltung um 65 Prozent
  • Verbesserte Ausdauer beim wiederholten Heben um 52 Prozent
  • An- und Ausziehen in maximal 20 Sekunden möglich

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