Mit dem Company Builder Xpress Ventures gründet Matthias Friese seit fast drei Jahren Logistik-Start-ups aus. Im Gespräch mit der DVZ blickt er auf die aktuelle Lage für Gründer und richtet einen klaren Appell an Politik und Wirtschaft.
DVZ: Herr Friese, Xpress Ventures gibt es seit mittlerweile knapp drei Jahren. Was steht in diesem Sommer 2023 ganz oben auf der Agenda?
Matthias Friese: An erster Stelle steht wie immer die Jagd nach den besten Start-ups aus dem Logistikbereich, auch wenn die Start-up-Investments im dritten Halbjahr in Folge weiter zurückgegangen sind. Wir sehen zwar durchaus wieder mehr Bewegung im Markt, aktuell sind Investoren aber noch zurückhaltend. Das liegt an vielen verschiedenen Umständen, wie der drohenden Rezession und der Unsicherheit, was momentan die richtigen Investments sind. Insbesondere in den Bereichen Climate Tech und Künstliche Intelligenz gibt es gerade viele Fragezeichen, welche Technologien wann Standard werden könnten. Aber auch trotz dieser Herausforderungen sind wir mit Xpress Ventures weiter gewachsen und haben mittlerweile ein acht-köpfiges Team.
Sie haben offiziell vier Start-ups im Portfolio. Lassen Sie uns einmal schauen, wo diese momentan stehen.
Wir haben tatsächlich mehr als vier Start-ups, aber nicht alles ist öffentlich bekannt. HomeRide, unser jüngstes Investment, ist ein Marketplace, der mit seiner Technologie erstmalig das Inventar von Einzelhandelsketten der lokalen Innenstadt auf einer digitalen Plattform abbildet – und zwar in Echtzeit. Es ist das Gegenmodell zu Flink und Gorillas, denn Homeride will nicht separat eine eigene Waren- und Fahrer-Infrastruktur aufbauen. Das hat bei anderen Unternehmen nachweislich nicht funktioniert und unheimlich viel Geld verbrannt. HomeRide entwickelt sich extrem gut und wächst sehr stark. Das Team bereitet gerade die Expansion auf weitere Städte vor, nachdem sich die Plattform in Köln sehr erfolgreich etabliert haben und auch bereits Kooperationen mit großen Handelsunternehmen wie MediaMarkt, Toom oder Butlers angelaufen sind.
(V. l. n. r.): Michael Müller, Hendrik Lallensack und Mirco Meyer, Gründer des Retail-Tech-Start-ups Homeride. (Foto: Homeride)
Wie sieht es bei PaketConcierge aus?
Hier liegt der Fokus klar auf Nachhaltigkeit. Das Team von PaketConcierge beschäftigt sich vor allem damit, die unzähligen Zustellversuche in urbanen Gebieten zu minimieren. Das ist bekanntlich einer der größten CO₂-Treiber in der Logistik: In den Großstädten fahren Zehntausende Transporter den ganzen Tag durch die Gegend und versuchen, ein Paket dreimal zuzustellen, obwohl wir eigentlich wissen, dass der Konsument zweimal davon gar nicht zu Hause ist. Es ist natürlich sehr komplex, hier eine praktikable Lösung zu entwickeln, die für alle zufriedenstellend ist, aber PaketConcierge arbeitet daran. Das Thema Nachhaltigkeit wird bei künftigen Ausgründungen von uns immer eine zentrale Rolle spielen.
Wie steht’s um Apothera?
Apothera hatte es zuletzt mit Herausforderungen im Markt für Online-Apotheken zu kämpfen. Wichtig ist: Man muss auch im eigenen Portfolio sehr selbstkritisch sein. Allerdings hat das Gesundheitsministerium neben dem E-Rezept viele Themen auf der Agenda. Eines davon: In der Pandemie war es schwierig, das E-Rezept in Arztpraxen und lokalen Apotheken effizient umzusetzen. Diese Umsetzung wird am 1. Januar nun endlich gesetzliche Vorschrift. Das heißt, wir können uns dem E-Rezept nicht mehr verschließen. Dadurch werden Patienten entlastet, die früher für drei Tabletten zur Apotheke laufen mussten. Mittlerweile entwickelt sich deshalb auch Apothera wieder besser. Da geht es jetzt erst so richtig los.
Dann fehlt nur noch Zenfulfillment.
Da befinden wir uns gerade in einer sehr spannenden Phase. Zenfulfillment ist insofern ein positives Beispiel dafür, dass man mit wenig Geld, „Operational Excellence“ und der Verbindung zu einem Mittelständler überleben und gute Produkte bauen kann. Wir sehen im Bereich Fulfillment gerade dramatische Entwicklungen am Markt: Start-ups, die in der Nullzinspolitik riesengroße Summen bekommen und mittlerweile ausgegeben haben, versuchen jetzt händeringend, am Markt weiteres Geld einzusammeln. Zenfulfillment profitiert nun davon, dass viele im Markt erkennen, dass Kapital allein nicht die Lösung ist. Es geht um „Operational Excellence“, also die Fähigkeit, wirtschaftlich nachhaltig und logistisch effizient zu arbeiten. Zenfulfillment wächst daher organisch sehr gut. Das freut uns natürlich sehr.
Sie sind also mit der Entwicklung aller vier Start-ups zufrieden?
Absolut. Ich bin sehr zufrieden, weil wir immer wieder sehen, dass es viel Dankbarkeit für das gibt, was wir tun. Das gilt sowohl für unsere Organisation, als auch für den Gesamtmarkt. Wir versuchen sehr früh, uns mit Themen zu beschäftigen, die andere vielleicht noch nicht auf dem Radar haben oder die für andere in einer so frühen Phase noch zu riskant sind. Mittlerweile kommt es mittlerweile immer häufiger vor, dass uns Venture-Capital-Unternehmer ansprechen und ein Logistikthema mitbringen, das sie zwar total spannend finden, aber alleine nicht umsetzen können. Und das machen wir dann gerne gemeinsam.
Xpress Ventures
ist ein Berliner Company Builder, der auf den Aufbau frühphasiger Start-ups an der Schnittstelle von Technologie und Logistik spezialisiert ist. Neben Pre-Seed-Kapital und Digital-Know-how bietet XPRESS den Zugang zu Investoren, Logistik-, Tech-, und Marketing-Dienstleistungen. Zum Portfolio gehören Start-ups aus den Bereichen Last Mile, Online-Pharmazie, Fulfillment und Retail. XPRESS mit seinen derzeit 8 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde 2020 von dem familiengeführten Mittelständler FIEGE Logistik gegründet.
Sie haben schon erwähnt, dass die Investments in Start-ups in den letzten drei Halbjahren immer weiter gesunken sind. Ist die Talsohle jetzt erreicht oder geht es noch weiter nach unten?
Mir ist wichtig, dass wir die Situation richtig einordnen: Was sind die Gründe für diesen Rückgang? Rezession, Krieg, Supply-Chain-Probleme. Alles, was wir gerade an großen Herausforderungen in der Welt haben: Klar, diese globalen Gründe haben und hatten großen Einfluss, aber es vermischt sich auch sehr stark mit dem Trend der vergangenen Jahre, dass Start-ups schlicht und ergreifend völlig überbewertet worden sind. Wenn wir zurück an den Anfang der 2000er Jahre denken: Da gab es so etwas Ähnliches schon einmal. Die Blase ist geplatzt, aber danach ist wieder ein gesundes System entstanden. Momentan hoffe ich einerseits, dass der fürchterliche Krieg in der Ukraine bald vorbei ist und wir wieder anders miteinander wirtschaften können. Das wird dann natürlich eine positive Wirkung auf die Ökosysteme haben, gerade auch auf junge Start-up-Ökosysteme. Andererseits glaube ich aber auch, dass wir durch eine abgekühlte Wirtschaft wieder zu einem gesünderen Denken zurückfinden oder schon zurückgefunden haben.
Wo hat dieses gesunde Denken denn zuletzt gefehlt?
Man muss sich ja immer fragen, wie und wann soll das Geld, das investiert wird, wieder zurück verdient werden? In der Logistik gibt es ganz aktuell diese Cases, wie beispielsweise Gorillas oder Flink, wo hunderte Millionen hineingeflossen sind und wo auch einige 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt worden sind, die jetzt leider wieder ohne Job dastehen. Dass so etwas nun nicht mehr passiert, ist meiner Meinung nach eine sehr gesunde Entwicklung. Insgesamt merken wir aber wieder mehr Bewegung am Markt. Die Investoren sind wieder gesprächsbereiter, wenn auch auf einem niedrigeren, vielleicht auch einem realistischeren Niveau. Außerdem merken wir, dass die Gründerinnen und Gründer wiederkommen. Es geht also wieder nach vorne, die Wagniskapitalfonds sind weiterhin gut gefüllt, auch in Deutschland. Ich persönlich hoffe, dass wir nicht wieder eine „high-to-the-sky“-Entwicklung sehen werden.
Investitionen in Start-ups mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit sind weiterhin steigend. Climate Tech ist das Buzzword, dass einem gerade in der Logistik immer wieder begegnet. Was bedeutet das für Sie konkret?
Den Begriff diskutieren wir auch bei uns stark. Es hat natürlich viel mit unserem Verständnis von Nachhaltigkeit zu tun, also Themen wie Circular Economy. Das schauen wir uns genau an und fragen uns, wie wir die Kreislaufwirtschaft weiter ankurbeln können. Denn es ist Fakt, dass unheimlich viele Waren weltweit originalverpackt vernichtet werden, weil es günstiger ist, sie neu zu produzieren als sie zu „refurbishen“. Dann müssen wir schauen, wie unsere Lieferketten aussehen und auch wie diese dem Endkunden gezeigt werden. Es gibt bei der Nachhaltigkeit natürlich zum einen Druck von der Politik über die Regulatorik, aber zum anderen kann auch der Konsument mit seinen Forderungen Veränderungen beschleunigen. Handelsunternehmen müssen sich heute überlegen, wie sie ihre Produkte auszeichnen. Wie schafft man eine komplette Zurückverfolgung der eigenen Lieferketten? Wie kann man eine Vergleichbarkeit erreichen? Wie schafft man Standards, die auch dem Konsumenten Vertrauen geben? Dann kommt noch die Frage des Energieverbrauchs hinzu. Warehouses zum Beispiel sind weiterhin große Stromfresser. Hier werden immerhin mittlerweile häufig PV-Anlagen oder Windräder genutzt, um eigenen Strom zu produzieren. Das sind nur einige, wichtige Themen, die alle letztlich irgendwie Climate Tech sind. Insgesamt ist mir der Begriff aber noch zu unscharf.
Sie haben gesagt, dass der Begriff intern momentan sehr stark diskutiert wird. Wo liegt da gerade der Fokus?
Wir beschäftigen uns bei vor allem damit, zu verstehen, wo und wie wir eine Reduktion und einen Ausgleich unserer CO₂-Emissionen unterstützen können. Das erfordert Datentransparenz in der so eng verwebten Logistik. Jedoch herrscht immer noch eine gewisse Verschlossenheit in der Branche, sodass es leider an genau dieser Transparenz fehlt. Das ist eine Herausforderung und hier sehe ich viel Handlungsbedarf, denn viele Unternehmen sind nicht bereit, ihre Daten mit anderen zu teilen: Und so bleiben die Emissionsdaten auf der Strecke, die wir brauchen um überhaupt Technologie zu entwickeln. Denn wir können noch so gute Tools bauen, die theoretisch helfen können, aber wenn die Unternehmen ihre Daten nicht offenlegen, haben wir nichts gewonnen. Diesen Knoten müssen wir also erst einmal lösen. Wir brauchen die Bereitschaft, Daten zu teilen.
Datenaustausch und Transparenz sind Dauerthemen in der Branche. Echte Bewegung ist aber noch nicht erkennbar.
Das ist bedauerlicherweise wahr. Es gibt mittlerweile ein paar Start-ups, die versuchen, diese Daten mühsam zu sammeln und nachzustellen. Aber an dem System selbst hat sich aus meiner Sicht bisher zu wenig verändert. Solche Start-ups haben nicht das Problem, dass die Unternehmen die Tools nicht haben wollen, sondern es kommt stattdessen oftmals die Rückmeldung: „Da müssten wir ja unsere Daten durchschleusen. Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, das geht nicht.“ Cybersecurity ist ja aktuell auch wieder ein extrem großes Thema, befeuert durch die KI-Entwicklung. Das macht auch nicht unbedingt Mut, denn dadurch werden Unternehmen tendenziell noch vorsichtiger. Es ist ein selbstgemachtes Problem: Über zehn Jahre lang hieß es, Daten seien das neue Gold und auf einmal soll dieses Gold geteilt werden. Davor schrecken sehr viele zurück, aber darüber müssen wir sprechen. Es gilt genau jetzt, das Vertrauen zu schaffen, ansonsten helfen auch die besten Tools der Branche nicht weiter.
Matthias Friese
ist Managing Partner von Xpress Ventures und mehrfacher Gründer von Digital-Unternehmen. Nach Stationen bei den Venture Studios Rocket Internet, Project A und Team Europe gründete Matthias Friese das Cybersecurity-Start-up Patronus.io. Sein Fokus bei Xpress liegt in der Betreuung junger Gründer vom Aufbau bis zur Skalierung von Start-ups in den Bereichen SaaS, E-Commerce und Logistik.
Es gibt mittlerweile einige Plattformen, die versuchen, eine neutrale Vermittlerposition einzunehmen, um dieses Problem zu lösen. Erwarten Sie hier bald einen echten Durchbruch?
Ich wünsche es mir sehr. Ich habe aber ein bisschen die Sorge, dass wir da noch etwas länger für brauchen werden. Vielleicht braucht es hier auch einfach den Druck der Regulatorik, der nun kommen wird. Auch wenn weder Investoren noch Start-up-Gründer große Fans von solchen Vorgaben sind. Vielleicht muss man die Unternehmen dazu incentivieren, ihre Daten transparenter zu machen, um ihnen am Ende helfen zu können. Das ist meiner Meinung nach zwar eigentlich der falsche Weg, aber bis 2030 und 2050 ist nicht mehr so viel Zeit. Deswegen müssen wir uns jetzt beeilen.
Im Dezember 2021, direkt nach der Bundestagswahl und noch vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs, haben Sie sich sehr optimistisch zur neuen Ampel-Regierung in Deutschland geäußert. Mit Blick auf die Themen Innovation und Nachhaltigkeit hatten Sie große Erwartungen. Und heute? Ist die Enttäuschung groß?
Ja, machen wir uns nichts vor. Die Enttäuschung ist an vielen Stellen ziemlich groß. Sicher hat niemand die derzeitige Regulierungswelle erwartet. Das war zumindest überraschend, völlig ohne Wertung gesprochen. Man sollte aber natürlich gleichzeitig auch nicht vergessen, dass die Herausforderungen gerade sehr groß sind und vieles auch für die Politiker nicht absehbar war oder ist. Als wir vor zwei Jahren gesprochen haben, war nicht vorherzusehen, dass wir in Europa nochmal so einen schlimmen Krieg erleben. Zumindest habe ich es nicht erwartet. Aber ich möchte trotzdem ganz offen sagen, dass wir in Deutschland bei vielen wichtigen Themen stark hinterherhängen. Ein großes Problem ist: Wir haben darbendes Internet. Das meine ich so, wie ich es sage. Und das ist eine dramatische Entwicklung, auch wenn natürlich keine Partei alleine dafür verantwortlich ist. Ich glaube nur, wir haben die Dringlichkeit noch nicht verstanden. Wir reden die ganze Zeit über Technologie, KI und Climate Tech, aber für das alles brauchen wir einen viel schnelleren Datentransfer.
Auch wenn Logistiker, Ihre Daten miteinander teilen sollen.
Genau. Es nützt uns nichts, Logistiker davon zu überzeugen, ihre Daten zu teilen, wenn das Internet dann nicht ausreicht, um diese Daten schnell zu transferieren. Gutes Internet haben wir momentan nicht, unsere infrastrukturelle Entwicklung hinkt hinterher. Wir geben gerade unseren starken digitalen Wirtschaftsstandort auf, den wir in Deutschland einmal geschaffen haben. Vor 20 Jahren waren wir bei der digitalen Infrastruktur noch weit vorne. Heute kommen die neuen Unicorns aus Ländern, die damals noch weit hinter uns lagen.
Ist das deutsche Ökosystem der Start-ups gefährdet? Oder sogar die Logistikbranche in Deutschland?
Auf lange Sicht vermutlich schon. Letztendlich ist es so, dass wir hier gute Technologien und Start-ups bauen. Und die erfolgreichen werden dann von Amerikanern gekauft. Deswegen sage ich: Ich möchte einerseits die Unternehmer, gerade prominente Start-up-Unternehmer dazu aufrufen, ihre Kanäle und ihre Stimme mehr zu nutzen und die Forderungen nach Breitband, Bürokratieabbau und Technologie-Förderungen lauter und deutlicher zu artikulieren. Auf der anderen Seite ist aber auch der deutsche Mittelstand dazu aufgerufen, denn er braucht für seine Geschäftsmodelle von Übermorgen digitale Infrastrukturen. Immerhin sind Mittelstand und Start-ups in den vergangenen Monaten näher zusammengerückt. Das ist ein Anfang.
Haben Logistiker mittlerweile erkannt, dass sie sich mit Problemen zum Thema Nachhaltigkeit, die sie nicht alleine lösen können, an Start-ups wenden können? Oder gibt es hier immer noch viele, die es lieber alleine versuchen?
Mittlerweile ist das Thema Nachhaltigkeit so groß, dass viele Unternehmen eine eigene Abteilung dafür eingerichtet haben. Das ist richtig und wichtig. Aber es gibt hier und dort auch Fälle, bei denen man die nötigen Tools nicht selber bauen kann, und dann werden Lösungen von externen Anbietern und Start-ups hinzugezogen. Insgesamt, nicht nur beim Thema Nachhaltigkeit, ist in den vergangenen Jahren ein positiver Trend entstanden, dass Mittelständler und Start-ups versuchen, enger zusammenzuarbeiten. Sie haben auch verstanden und akzeptiert, dass sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Das ist eine ganz wichtige Basis und eine gute Entwicklung. Ich freue mich, dass wir unseren Teil dazu beitragen können und konnten. Unser Modell wird mittlerweile im Markt mitunter nachgeahmt – und darauf blicken wir auch mit ein bisschen Stolz.