Nach wie vor definiert sich die Leistungsfähigkeit einer Logistikanlage durch das Zusammenspiel von Menschen, Prozessen und Technik. Effiziente Logistikabläufe und ergonomische Arbeitsplätze sollten daher genauso sorgsam geplant werden wie der Materialfluss. Damit die künftige Anlage die Anforderungen des Kunden optimal erfüllt, gilt eine enge Abstimmung im Planungs- und Realisierungsprozess als wichtigste Voraussetzung. Immer mehr Unternehmen greifen bei der Planung von neuen Anlagen oder bei der Erweiterung beziehungsweise Verbesserung von alten deshalb auf die Unterstützung eines Digitalen Zwillings zurück.
Noch aber muss sich die Idee der virtuellen Simulation in der Logistik weiter erforscht werden, da bei einigen Aspekten noch Fragen offen sind. Dennoch haben sich Digitale Zwillinge in vielen Unternehmensbereichen bereits fest etabliert. Und welche Möglichkeiten bietet dieser Ansatz für die Logistik sowie Intralogistik? Ihr Mehrwert scheint groß, aber trotzdem findet sie in diesem Bereich bisher noch keine durchgehende Anwendung. Mit Digitalen Zwillingen oder der verwandten Anlagen-Emulation lassen sich entscheidende Schritte zu mehr Digitalisierung machen. Und damit wird das Konzept zu einem wichtigen Element, wenn es um die Weiterentwicklung der Branche in Richtung Logistik 4.0 geht.
Volle Kontrolle dank Echtzeitdaten
In der aktuellen Entwicklung stellt der Digitale Zwilling mehr als nur ein statisches Abbild realer Objekte dar: Als virtuelles Pendant zur physischen Welt verlinkt und überwacht er Echtzeitdaten in einer Simulationsumgebung. Dabei ist der digitale Doppelgänger kontinuierlich mit dem Original verbunden und aktualisiert sich selbst, um Veränderungen oder Abweichungen abzubilden. Das gilt für Produkte und Maschinen genauso wie für ganze unternehmerische Ökosysteme.
Über einen Digitalen Zwilling lässt sich auch der Kunde optimal in die Planung miteinbeziehen. Um beim Auf- oder Umbau von Anlagen den laufenden Betrieb möglichst wenig zu beeinflussen, können Intralogistiksysteme virtuell nachgebildet und getestet werden. Denn gerade in der Intralogistik erweist sich eine hohe Leistungsfähigkeit als entscheidender Schlüssel für einen dauerhaften Erfolg.
Planen mit Köpfchen
In der Planungsphase eines neuen Logistikbetriebs und ebenso bei schon bestehenden Unternehmen kann die genaue Einstellung der verschiedenen Parameter große Vorteile bringen – hier zeigen sich die Möglichkeiten des Digitalen Zwillings am besten. Während der Planungs- und Realisierungsphase dient er der genauen Abstimmung und auch im späteren Lebenszyklus der neuen Anlage bieten sich viele Einsatzmöglichkeiten: Vor allem durch die visuelle Darstellung lassen sich Lösungsansätze besser anpassen. Zudem sorgt die virtuelle Simulation als zentrale Datenbasis und mit der Aufnahme aller Änderungen für einen dauerhaft aktuellen Stand bei Projekten. Eine neu gewonnene Transparenz ermöglicht also vielfältige Prozessoptimierungen und schont finanzielle und zeitliche Ressourcen des Unternehmens.
Gerüstet für die Lieferketten der Zukunft?
Im Betrieb ermöglichen es Digitale Zwillinge, ein detailgetreues Abbild der physischen Anlage – beispielsweise in Form eines virtuellen 3D-Modells – darzustellen. Dieses kann dann anschließend um die eigentlichen logistischen Abläufe im Unternehmen erweitert werden.
Hierbei geht es besonders um die dynamischen Eigenschaften und betrieblichen Aspekte der Produktion, in Form von der Beschleunigung von Förderelementen, dem Materialfluss oder der Wiedergabe der Anlieferung und dem Versand der Ware. Während das 3D-Modell Eigentümerinnen beziehungsweise Eigentümern einen ersten Einblick in das Projekt erlaubt und für die Baufirmen einen detailgenauen Plan zur Realisierung eröffnet, kann durch die übernommenen detaillierten Abläufe eine funktionierende Testanlage im digitalen Raum entstehen.
Diese Installation gibt Softwareentwicklern durch ihren identischen Aufbau bei der Produktion und den identischen Materialfluss eine perfekte Basis für die Überprüfung der Leistungsfähigkeit des physischen Betriebs. Hier bietet sich oft auch die Chance, Materialflussrechner oder Lagerverwaltungssysteme vor dem Einbau in die reale Anlage zu testen. So lässt sich etwa ein 3D-Modell eines Lagers mit Bestands- und Betriebsdaten verknüpfen. Unterstützt durch künstliche Intelligenz (KI) bietet der Digitale Zwilling nicht nur jederzeit einen Überblick über den Ist-Zustand von Maschinen sowie die Verfügbarkeit von Produkten, sondern kann darüber hinaus auch Vorhersagen treffen und autonome Entscheidungen über Lagerbestände oder Lieferungen fällen. Er hat Zugriff auf die gesamte Daten-Historie und erkennt jede kleinste Abweichung vom Idealprozess sofort.
Ein weiterer Pluspunkt: Alternative Strategien oder technische Erweiterungen können vorab im virtuellen Betrieb ausprobiert werden – das beschleunigt Planungs- und Inbetriebnahmezyklen und erhöht die Sicherheit für Investitionen.
Ausfallzeiten oder Engpässe vorhersehen
Digitale Zwillinge dienen mit ihren verlässlichen Daten und präzisen Informationen von der Planung bis zur Realisierung und dem Betrieb sowie bei der Instandhaltung als Entscheidungshilfen zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe lassen sich zusätzliche Erweiterungen testen, der Zustand der realen Anlage prüfen oder Schulungen für Mitarbeiter umsetzen. Zudem können – durch die Hinzufügung einer visuellen Komponente – Einarbeitungen der Beschäftigten schnell und ohne große Komplikationen stattfinden.
Zwar erweisen sich Digitale Zwillinge in einer gesamten Industrieanlage momentan noch als zu komplex und wirtschaftlich nicht rentabel, weshalb die Technik zumeist nur bei einzelnen Projekten oder Phasen der Planung und Realisierung Einsatz findet. Aber schon in einem solch kleinen Rahmen zeigen sich die Chancen, die diese Technologie bietet, und ihre starken Auswirkungen auf die Zukunft der Industrie. Mit Echtzeitdaten und der großen Transparenz lassen sich durch Digitale Zwillinge in der Zukunft für Unternehmen nicht nur Zeit, sondern auch Kosten sparen. Weitere Forschung auf diesem Feld kann in ein paar Jahren noch so einige Fortschritte bringen. Denn schon heute ist die Technologie eine wichtige Schnittstelle im Internet of Things (IoT) zwischen Zulieferer, Hersteller und dem Endkunden.
Dieser Gastbeitrag wurde von Rainer Schulz verfasst. Er ist Geschäftsführer der Sysmat GmbH und beschäftigt sich seit rund 25 Jahren mit der Automatisierung von Lagern.