Mit ihrer Sustainability Management Platform will das Start-Up Waves neue Einblicke in die Nachhaltigkeit von Logistikunternehmen ermöglichen. Im DVZ-Interview erklärt Gründer und CEO Armin Neises, wie sich Unternehmen als Nachhaltigkeitspioniere einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können.
DVZ: Herr Neises, im August 2019 haben Sie das Start-up Waves mitgegründet. Wie ist es dazu gekommen?
Armin Neises: Matthias Brinkert und ich kennen uns schon seit rund 20 Jahren und haben früher bereits bei einem Industrieunternehmen zusammen Ökobilanzen erstellt. Als ich damals die Rolle als Umwelt- bzw. Energiemanager eingenommen habe, wurde ich noch für einen Utopisten gehalten. Ich möchte betonen, dass Nachhaltigkeit die Balance zwischen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten zum Ziel hat. Wir haben unsere Plattform insbesondere für die Industrie entwickelt und hier muss die Wirtschaftlichkeit natürlich immer eine wichtige Rolle einnehmen.
Welche Besonderheiten sehen Sie hier bei der Logistik- und Transportbranche?
Hier gilt es einen genauen Blick auf die gesamte Lieferkette zu werfen. Wir wollen Transparenz für das Thema Nachhaltigkeit aufbauen und nutzen hierzu die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung. Indem wir die Nachhaltigkeit sichtbar machen, stellen wir den verantwortlichen Managern in den einzelnen Unternehmen in Echtzeit Informationen zur Verfügung, damit diese auch ihre Entscheidungen unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit treffen können. Hierzu haben wir nun unser erstes Produkt an den Markt gebracht.
Wie sieht dieses Produkt aus?
Im ersten Schritt schauen wir auf den „Carbon Footprint“ bei Transporten – also kurz „CFT“. Wir sind in der Lage bis auf die Sendungsebene die CO2-Emissionen exakt zu berechnen. Hierfür haben wir unsere Plattform so weit entwickelt, dass Logistikunternehmen aus dem Straßenverkehr sie nutzen können. In Kürze wird auch die Seefracht abgebildet werden können. Zusätzlich möchten wir auch die Betrachtung von Standorten ermöglichen. Die CO2-Emissionen an Lagerstandorten oder speziell in der Lebensmittelindustrie die Kühllager spielen eine große Rolle. Genauso aber auch in den Büroräumen und der Administration. Überall wo Energie verbraucht wird, entstehen auch CO2-Emissionen, die wir exakt berechnen können.
Die Nachhaltigkeit wird natürlich für alle Branchen immer wichtiger. Warum legen Sie mit ihrer Plattform den Fokus auf die Logistik?
Nach der Energieerzeugung ist der gesamte Bereich Verkehr der zweitgrößte CO2-Emittent. Der Einfluss auf den Klimawandel ist enorm. Umso wichtiger ist es für uns, direkt an dieser großen Schraube zu drehen, um einen größtmöglichen Einfluss zu haben. Die Transparenz über die gesamte Lieferkette inklusive aller weiteren Dienstleistungen wie Zwischenlagerungen aufzubauen, können wir mithilfe unserer Berechnungen gewährleisten. Wir wissen exakt, welche Formeln und Algorithmen notwendig sind, um belegbare, rechtssichere Daten zu erheben und zu berechnen.
Wie erhalten Sie für Ihre Berechnungen die relevanten Daten?
Die meisten Logistikunternehmen und Spediteure nutzen Transportmanagementsysteme, dort sind alle für die Berechnung des CO2-Footprints benötigten Daten enthalten. Entscheidend sind hier vereinfacht gesagt die Distanz, das Gewicht der Sendung sowie das Transportgerät selbst. Diese Daten stehen heutzutage in der Regel bereits digital zur Verfügung. Wir können über Schnittstellen die relevanten Daten aus dem System der Kunden herausziehen, um dann mit den definierten Formeln den entsprechenden CO2-Footprint zu berechnen. Diese Berechnungen wiederum kann der Kunde entweder auf einem Dashboard sehen, welches wir zur Verfügung stellen, oder die entsprechenden CO2-Werte werden direkt im eigenen System des Kunden dargestellt.
Logistikdienstleister haben teilweise sehr unterschiedliche technische Voraussetzungen. Wie gehen Sie damit um?
Tatsächlich nutzen die Unternehmen über 60 unterschiedliche TMS-Systeme und vielfach auch noch Eigenentwicklungen. Hier haben wir Stand heute noch nicht überall die entsprechende Schnittstelle, bei einigen haben wir diese aber bereits programmiert. Das ist für uns ein laufender Prozess. Immer wenn wir auf ein neues TMS-System stoßen, gehen wir entsprechend in die Programmierung.
In der Logistikbranche sind Unternehmen unterschiedlichster Größe tätig. An wen richten Sie sich mit ihrem Angebot?
Wir sehen das große Feld der kleinen und mittleren Speditionen, die sich diese Expertise inhouse nicht leisten können. Für diese ist es enorm schwer, sich das entsprechende Know-how anzueignen. Mit Waves wollen wir diesen Unternehmen den Schritt ersparen, eine eigene Nachhaltigkeits-Abteilung aufzubauen. Außerdem sind die Carrier bzw. Frachtführer mit Blick auf die Ist-Daten für uns interessant. Wir wollen nicht nur schauen, welche Routen geplant wurden, sondern wie sie tatsächlich gefahren wurde, unter Berücksichtigung von Staus, Sperrungen etc.
Welche Vorteile bieten Sie ihren Kunden konkret mit der Plattform?
Wir sehen drei Stufen. Aufgrund der Erwartungen der Endkunden wird bereits in der Angebotsphase der CO2-Abdruck auch von Spediteuren immer häufiger erwartet. Der Spediteur kann sich hier bereits einen Vorteil verschaffen, wenn er im Tendering seine CO2-Emissionen genau angeben kann. Die großen Automobilkonzerne fordern das beispielsweise bereits von ihren Logistikdienstleistern. Der zweite Vorteil entsteht in der Planungsphase. Bei der Routenplanung und der Auslastungsplanung, können wir mit den uns vorliegenden Daten einen wahrscheinlichen CO2-Wert vorausplanen. Schließlich können wir nach Abschluss des Transports auch eine Auswertung anbieten, um mögliche Differenzen zwischen Planung und Ergebnis zu erkennen und zu erklären. Dadurch werden die Planungsdaten langfristig natürlich wiederum immer exakter.
Welche Kosten ergeben sich für Ihre Kunden durch die Zusammenarbeit mit Waves?
Wir möchten eine faire Preisgestaltung mit einem Pay-per-use-Modell anbieten. Natürlich muss jedes Unternehmen einen gewissen Grundbetrag bezahlen. Danach berechnen sich die Kosten aber danach, wie häufig unsere Dienste tatsächlich in Anspruch genommen werden. Entsprechend sind die Kosten für kleinere Speditionen auch geringer.
Blicken Sie momentan nur auf den deutschsprachigen Raum oder wollen Sie ihre Plattform auch in anderen Märkten anbieten?
Wir planen ganz klar im größeren Rahmen. Wir haben unser Unternehmen unter anderem in Luxemburg gegründet, um einen Zugang zum französischsprachigen Raum zu haben. Zunächst haben wir aber den Fokus auf den deutschen Markt, der der größte in Europa ist. Hinzu kommen Österreich und die Schweiz. Wir haben unser gesamtes System aber dreisprachig aufgebaut. Es wird also auch eine englische und französische Variante geben. Der Benelux-Markt ist mit den großen Häfen wie Antwerpen oder Rotterdam hochinteressant, wenn wir uns auch in Kürze um die Seefracht kümmern werden. Frankreich ist als Markt bereits jetzt relevant für uns, da es dort bereits seit 2011 ein Gesetz gibt, wonach Spediteure ihren Kunden auf den Rechnungen den CO2-Footprint ausweisen müssen.
Glauben Sie, dass diese Gesetze auch zeitnah in Deutschland und anderen relevanten Märkten zur Anwendung kommen werden?
Durch das Lieferkettengesetz, was kommen wird, und den New Green Deal der EU werden in den kommenden Jahren erheblich verschärfte Vorgaben durch die Gesetzgebung kommen. Darauf muss sich die Logistikbranche einstellen. Da ist jedes Unternehmen schon heute gut beraten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Welche Rückmeldungen haben Sie bislang aus der Logistikbranche erhalten?
Wir haben einen sehr guten Austausch mit dem DSLV. Die Logistikbranche hat ja den Ruf, sehr konservativ zu sein und sich erst zu bewegen, wenn sie durch entsprechende Gesetze dazu gezwungen wird. Diesbezüglich gehen wir auch realistisch davon aus, dass die große Masse an Unternehmen die erforderlichen Schritte erst unternimmt, wenn es absolut erforderlich ist. Wir haben aber über den DSLV Kontakte zu Unternehmen bekommen, die ganz bewusst die Ersten in ihrer Branche sein wollen. Unser Kunde und Partner LGX Logistics aus Darmstadt etwa hat das Ziel bis 2025 das „grünste Logistik-Unternehmen Deutschlands“ zu sein, um damit aktiv Marketing zu betreiben. Dies ist nur eines von vielen Unternehmen, die zu den Pionieren gehören wollen. Da wir Nachhaltigkeitsexperten sind und keine Logistikexperten, sind wir natürlich an Unternehmen interessiert, die mit uns unsere Produkte weiterentwickeln.
Welche Rolle wird die Nachhaltigkeit in fünf Jahren in der Logistik haben?
In fünf Jahren wird der New Green Deal der EU umgesetzt sein. Das bedeutet eine deutliche Verschärfung der Gesetzgebung, möglicherweise sogar für alle Unternehmensgrößen. Dann sollte es auch für alle Pflicht sein, seinen CO2-Footprint abzubilden. Die entscheidende Frage ist, wie die Zeit bis dahin von den Unternehmen bestmöglich genutzt werden kann. Wartet man so lange bis man muss, oder entscheidet man sich, auch aufgrund des Kundendrucks, früher entsprechende Schritte einzuleiten. Der Gesetzgeber ist kein guter Motivator. Unternehmerisch aktiver wäre es zu sagen, wir stellen uns aus eigenem Interesse entsprechend nachhaltig auf. Der Druck der Endverbraucher auf die Produzenten wird hier meines Erachtens weiter steigen und die Produzenten geben diesen Druck auch an die Logistiker weiter.
Herr Neises, vielen Dank für das Gespräch.